Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
plötzliche Aufstieg eigentlich gelungen ist. Himmler spricht stets von »einer großen Macht, die ihn begleitet«, und ich bin mir nicht im Klaren, wen oder was er damit meint. Jedenfalls nicht den Führer, dessen bin ich sicher. Wenn er darüber spricht, schweift sein Blick derart in die Ferne, dass man meinen könnte, er blicke in den Himmel. Doch auch Gott kann er nicht meinen, denn Christen sind ihm ja mindestens so verhasst wie die Juden. »Entweder man ist Christ oder man ist Deutscher«, sagte er gestern zu mir. Ein Satz, über den ich nachdenken muss.
Schneider hatte kaum diese letzten Sätze seines Vaters in sich aufgenommen, als es an der Tür schellte. Mit einem Ächzen erhob er sich aus seinem Sessel, schüttelte die steifen Beine und Arme aus und bemerkte, bei einem Blick auf die Uhr, wie lange er an diesem Tag schon wieder gelesen hatte. Gleich nach dem kargen Frühstück war er ins Wohnzimmer gegangen und nun war es bereits 16 Uhr. Er saugte die Tagebücher wie ein trockener Schwamm in sich auf und katapultierte sich in eine Welt, die über sechzig Jahre zurücklag.
Richard ging zur Tür, überhörte das Grummeln in seinem Magen und öffnete. Er rechnete damit, Blome vor sich zu sehen, doch er irrte sich. Ein großer Mann mit zackigem, militärisch korrektem Haarschnitt stand vor ihm und blickte auf ihn herab – und das nicht nur wegen des Größenunterschiedes. Er hatte einen schwarzen Anzug an und wirkte wie ein Bestattungsunternehmer, ohne die dazu angebrachte Milde in der Stimme zu besitzen. »Sind Sie Dr. Richard Schneider, Sohn von Karl Wilhelm Schneider?«, fragte er kurz angebunden.
Schneider verzog das Gesicht zu einer verwunderten Grimasse. »Das bin ich wohl, wenn es da auf dem Schild steht.« Schneider versuchte, Überlegenheit zu demonstrieren, der Fremde schien davon wenig beeindruckt zu sein.
»Mir ist nicht nach Scherzen, Schneider. Kann ich reinkommen?« Während er fragte, schob er sich bereits an Schneider vorbei. Die Bücher verstecken, schoss es Schneider durch den Kopf. Hatte nicht sein Vater genau das, wenn auch nur keuchend, zu ihm gesagt? Schnell zog er die Tür zum Wohnzimmer zu und wollte den Anschein erwecken, er versuche nur die Unordnung hinter der Tür zu verbergen. Sie standen im Flur, und der Fremde betrat uneingeladen die Küche – einem gemütlichen Raum mit Esstisch, in dem Gäste, wenn sie einmal dort sitzen, nicht mehr ins Wohnzimmer zu nötigen sind. Schneiders Ex-Frau hatte das so gewollt; kurze Wege für das Geschirr und eine gemütliche Atmosphäre wie im Süden Europas. Schneider selbst waren solche Nebensächlichkeiten schon immer weitgehend egal gewesen.
Richard dachte nicht im Traum daran, dem Fremden einen Platz anzubieten, der schien ohnehin - ungeachtet der Reaktion seines Gastgebers - zu tun, was er wollte. Und tatsächlich: Der Fremde zog einen Stuhl zurück und setzte sich. Ohne eine Vorankündigung begann er seine Ansprache. »Mein Name ist Jack Lennigan, Ihr Kollege Blome wird mich angekündigt haben.«
Schneider setzte sich Lennigan gegenüber und versteifte seinen Rücken. Gemütlichkeit wollte er gewiss nicht aufkommen lassen. Mit kalter Stimme erwiderte er: »Blome sagte, Sie würden mich anrufen. Ich ging nicht davon aus, dass Sie gleich hier reinplatzen würden. Sind Sie ein Vertreter oder so was? Ich kaufe grundsätzlich nichts an der Tür.«
Lennigan schlug Schneider mit einem Blick, der ihm tief in seiner Seele schmerzte. Er ging nicht auf Schneiders Frage ein. »Sie werden mir jetzt genau zuhören. Und um eines von Anfang an klarzustellen: Wenn Sie glauben, uns reinlegen oder sich aus dem Staub machen zu können, dann irren Sie sich. Sie haben sowieso keine Wahl. Es ist also vernünftiger, mit uns zu kooperieren.«
Dann grinste er höhnisch mit einem makellosen Gebiss. Schneider schwieg. Der Fremde fuhr unaufgefordert fort. »Wir gehören einem uralten germanischen Orden an. Wir sind eine Gemeinschaft von Brüdern, die das Wohl der Menschheit im Blick hat und sie verändern will. Daran sind wir durch einen Eid gebunden.«
Schneider erschrak, versuchte aber dies dem Fremden gegenüber zu verbergen. Die Ankündigung seines Vaters hallte noch in ihm nach. Sie werden zu dir kommen, hatte er gesagt, und diese Prophezeiung schien sich nun zu erfüllen.
VIII
Eine junge Assistentin von vielleicht fünfundzwanzig Jahren klopfte gegen die Scheibe im Untersuchungsraum des archäologischen Instituts und rief Frau Weizmann und Professor
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