Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
verwundert an. »Ich kann jetzt nicht weg. Himmler vertraut mir und erzählt mir seine intimsten Gedanken. Er ist verrückt nach einem neuen, arischen Volk, und er teilt mir, ja seht mich nicht so an, ausgerechnet mir seine Gedanken und Träume mit. Er liest meinen Roman nun schon zum dritten Mal und er will ihn einem Verlag geben, sobald sich die Lage in Deutschland entspannt hat. Das ist eine Riesenchance für mich. Außerdem kann ich ihm nicht einfach sagen: ›Also Herr Himmler, ab heute komme ich nicht mehr. Schreiben Sie doch ihre Biografie allein. Ich fahr wieder nach München.‹ Glaubt ihr, er würde sich das gefallen lassen? Er ist ein mächtiger Mann und ich tue gut daran, ihm zu gehorchen.«
Traunstein und Gudrun sahen sich bedrückt an, während in mir der Ehrgeiz kochte. Diese Gudrun war nicht mehr dieselbe, die ich mal kannte. Vielleicht sollte es so sein, dass ich ihr meine innige Liebe bisher nie gestanden hatte.
Gudrun sah mich eindringlich an. »Merkst du denn nicht, dass er nur einen dummen Jungen sucht, der ihm die Krone aufsetzt und ihm zu ewigem Ruhm verhilft? Du hast ja recht, eine Biografie über den zweitmächtigsten Mann Deutschlands – das ist schon was. Aber es ist eben auch gefährlich, sieh das doch ein.«
Sie gab sich keine Mühe, ihre Sorgen um mich zu verbergen. Das schmeichelte mir, und doch fühlte ich mich hin- und hergerissen. Würde ich mit ihr gehen, würde sie auch an meiner Seite bleiben, das fühlte ich plötzlich ganz deutlich. Doch andererseits muss man in diesen Zeiten Opfer bringen. Das Private muss eben manchmal hinter den großen Idealen anstehen. Und so erwiderte ich ihnen: »Macht euch keine Sorgen um mich. Das sind alles nur Gerüchte, denen ihr Glauben schenkt. Ihr solltet euch besser von solchen Leuten fernhalten. Die impfen euch nur wirres Zeug ein.« Ich schüttelte stumm den Kopf und stand auf. Kurze Zeit später öffnete ich ihnen die Tür und sagte Lebewohl. Ich kann gar nicht beschreiben, welch ein Kampf in mir tobte. Gudrun sah mich beim Gehen mit einem Blick an, der sich tief in meine Seele brannte, als wollte sie sagen: Schade, dass du unserer Liebe keine Chance gibst. Doch soll ich alle meine Chancen so mir nichts dir nichts über Bord werfen. Ich will unbedingt Schriftsteller werden. Ich will berühmt werden, und Himmler ebnet mir den Weg dorthin, dessen bin ich ganz sicher. Es wäre töricht von mir, Berlin jetzt zu verlassen.
10.Aug. 1940
Bin heute wieder bei ihm gewesen. Die Sache mit der Lanze lässt mich nicht mehr los. Macht, natürlich, wer will die nicht? Ich meine: Was gäbe ich nicht dafür, ein erfolgreicher Autor zu werden? Für die Macht, durch meine Worte Menschen zu verändern. Sie zu führen und zu leiten nach meinem Willen – tatsächlich, das ist eine gewisse Macht, die einen angenehmen Beigeschmack hat. Eine großartige Vision: meine Bücher, deutsche Literatur, die irgendwann einmal zur besten des zwanzigsten Jahrhunderts gezählt wird. Ich könnte es vielleicht schaffen. Ich müsste vermutlich nur einmal diese Lanze in den Händen halten. Was gäbe ich darum, einmal darüber zu streichen.
Himmler hat sich eine originalgetreue Kopie von der Lanze aus der Wiener Hofburg anfertigen lassen. Er hat mir erzählt, dass es mehrere Kopien gibt, dass mithilfe magischer Kräfte die Macht von der einen auf die andere Lanze übertragen werden kann und dass er mit seinen treuesten Verbündeten eine solche Transformation vollzogen hätte.
Dann erfuhr ich wieder etwas Neues: Es gibt eine stolze Burg, etwa zwanzig Kilometer südlich von Paderborn, die sogenannte Wewelsburg , die Anfang des siebzehnten Jahrhunderts als Nebenresidenz der Fürstbischöfe von Paderborn erbaut wurde. Himmler hat mir erzählt, dass er sie für hundert Jahre für nur eine Reichsmark jährlich gepachtet hat. Bereits 1933 sei er von dieser Burg fasziniert gewesen, wie er mir sagte. Die seltene Form eines Dreiecks habe es ihm angetan, auch, weil auf der ganzen Welt nur noch eine einzige Burg mit der gleichen Form existiere, hoch oben in Schottland. Die Wewelsburg jedoch läge im Kernland der Germanen und sei eigens für ihn vorherbestimmt. Er hat mir Pläne gezeigt, wie er die Burg zu einer einzigartigen Festung umbauen lassen will. Er gedenkt, in einem Radius von 500 Metern einen riesigen, achtzehn Meter hohen Wall darum zu errichten. Geplant ist ebenfalls ein Zufahrtsweg, der zusammen mit der Burg aus der Luft wie ein Speer, eben wie jene mächtige Siegeslanze,
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