Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
weiterhelfen könnte. Das Einzige, was ich an der ganzen Sache sehr merkwürdig finde, ist, dass mein Vater, als ich ihn im Krankenhaus besucht habe, völlig irres Zeug geredet hat. Von einer geheimen Bruderschaft, die mich besuchen wird und so einen Blödsinn.«
Blome schüttelte den Kopf. »Verrenn dich bitte nicht, Richard. Wir kämpfen hier ums Überleben. Vergiss das nicht! Ach übrigens. Vorhin hat ein Jack Lennigan angerufen. Ein Ami oder Ire oder so. Wollte dich sprechen. Komischer Vogel, wenn du mich fragst.«
»Hat er gesagt, was er von mir will?« Schneider erinnerte sich an die Worte seines Vaters.
Blome zuckte mit den Schultern. »Nein hat er nicht. Er ruft noch mal an. Bei dir zu Hause wahrscheinlich.«
»Du hast ihm doch hoffentlich nicht meine Geheimnummer gegeben?«
»War nicht nötig, die kannte er schon. Hat sie mir aufgesagt, sodass ich sie nur bestätigen brauchte.«
Schneider rückte seine Krawatte gerade, so als könne die ihm Kraft und Mut verleihen. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken an einen Unbekannten, der seine private Telefonnummer besaß.
»Okay, ich hau wieder ab. Hab zu wenig geschlafen letzte Nacht. Schafft ihr das hier wirklich ohne mich?«
Blome nickte und klopfte Schneider auf die Schulter. »Geh nur. Hau dich hin.«
Schneider verließ sein Büro mit einem undefinierbaren Unbehagen im Magen. Er wollte schnellstens wieder nach Hause und war in diesem Augenblick froh, einen Partner zu haben, der die Firmendinge in die Hand nehmen konnte. Mit zügigem Tempo fuhr er zu seinem Haus. Dort angekommen schauten ihn die Tagebücher lockend an und sangen wie Sirenen: Entlocke uns das Geheimnis, verliere dich in uns.
Richard streifte sich die Jacke ab, nahm die ohnehin schief hängende Krawatte ab, warf sie in eine Ecke des Wohnzimmers und setzte sich. Er ignorierte seinen Hunger und griff zum siebzehnten Band der Tagebuchreihe. Verdammt , dachte er. Es ist wie eine Sucht.
6. Juli 1940
Heute fand in der Hauptstadt eine große Siegesparade statt. Alles war geschmückt und feierlich hergerichtet: Hitler zieht unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt ein. Traunstein war eigens angereist und hatte, zu meiner großen Freude, Gudrun mitgebracht. Truppen der Wehrmacht marschierten dann in Formation durch das Brandenburger Tor. Die Menschen waren tatsächlich außer sich und jubelten dem Führer zu. Ich aber hatte nur Augen für Gudrun. Ihre blonden Haare wehten im Wind, und ihr Sommerkleid sah frisch und neu aus, als gäbe es keinen Krieg. Traunstein und Gudrun brachten allerdings nicht die gleich euphorische Freude auf, wie der Rest der Zuschauer. Sie betrachteten das Geschehen eher mit Sorge und Kummer. Dabei heißt es doch, der Nationalsozialismus sei die größte Chance des deutschen Volkes.
Abends lud ich die beiden in meine bescheidene Unterkunft ein und erzählte ihnen stolz von meinen Fortschritten in der Bibliothek. Ich weiß nicht, ob sie meine Erzählungen über Himmler als Schwärmerei auffassten, aber nach einer Weile fasste mich Gudrun am Arm – und ich hielt inne.
»Karl, es ist gefährlich, was du da tust. Weißt du das eigentlich? Mein Vater und ich, wir sind nicht gekommen, um dieses Spektakel am Brandenburger Tor zu sehen, sondern um dich zu warnen.«
Ich genoss die Berührung Gudruns und zog doch meinen Arm von ihr weg. »Wieso soll es gefährlich für mich sein, in Himmlers Bibliothek zu sitzen und an seiner Biografie zu schreiben? Im Gegenteil – ich denke, das ist zurzeit der sicherste Platz in ganz Berlin. Wenn ihm nichts geschieht, dann geschieht mir auch nichts. Ich bin sein Protegé.«
Traunstein ergriff das Wort, doch zuvor blickte er sich um, als hätten die Wände Ohren.»Wir haben gehört, dass er Unmengen von Juden in Gettos sperren lässt, oder sie abtransportieren lässt – in sogenannte Arbeitslager. Hier geschieht ein Unrecht an Menschen, vor dem man nicht länger Augen und Ohren verschließen kann.«
Ich wurde patzig. »Ihr seid ganz schön mutig, so etwas über die Führung zu sagen. Es haben Leute schon für weniger als das einen Genickschuss bekommen.«
»Karl, wir haben Vertrauen zu dir, und du zu uns. Du bist mehr für mich als nur ein Angestellter und das weißt du. Wir sind hier, um dich nach München zurückzuholen. Ich habe mit der Redaktion gesprochen. Es ist alles arrangiert. Wir brauchen dich, um den Widerstand zu organisieren. Wach endlich auf, Karl. Man kann dieses Regime nicht länger unterstützen.«
Ich sah sie
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