Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
die Charité schwer getroffen worden sein soll. Das wäre allerdings ein harter Schlag für die Verwundeten.
Bin am späten Vormittag zu Himmler zitiert worden. Auch seine Villa ist vollständig unversehrt geblieben. Ich habe nun schon 350 Seiten biografisches Material über ihn zusammengetragen, und er ist sichtlich zufrieden mit mir. Trotzdem ist er in den letzten Monaten zunehmend gereizt, beantwortet meine Fragen nur kurz – und mein Roman ist immer noch nicht erschienen. Er hatte mir versprochen, ihn verschiedenen Verlagen anzubefehlen, bislang ist aber offensichtlich noch nichts passiert. Ich hoffe nicht, dass er mir eine Veröffentlichung nur versprochen hat, um mich hinzuhalten. Es kommt mir wie ein Köder vor, den er vor meine Nase hält, damit ich seine Biografie schreibe.
Doch es gibt noch ein anders Problem, das mich sehr beschäftigt. Ich kann keinen Kontakt mehr zu Traunstein und Gudrun aufnehmen. Sie scheinen die Redaktion tatsächlich verlassen zu haben. Wie ich hörte, wurde er fristlos entlassen. Auch unter ihrer Privatadresse ist niemand mehr zu erreichen. Die letzten Briefe Gudruns waren in einem eigenartigen, ja ängstlichen Ton verfasst, als müssten beide um Leib und Leben bangen. Natürlich, wir bangen alle in einer gewissen Weise, schließlich ist Krieg, doch die Anfechtung scheint aus ihren eigenen Reihen zu kommen. Die neue Gesinnung Traunsteins hat sich noch verstärkt, und er ist zunehmend ins Visier der Führung geraten, da diese befürchtet, Traunstein könne Texte veröffentlichen, die nicht linientreu und systemkonform sind. Sobald ich wieder in München bin, werde ich mich auf die Suche nach ihnen machen, doch zuvor gibt es hier noch einiges zu erledigen.
Himmler hat mir verraten, dass der Führer nach seiner Kopie der Lanze verlangt. Die Reichskleinodien wandern nämlich von einem sicheren Versteck zum anderen und Hitler ist nicht bereit, das Original aus der Hand zu geben. »Die Kopie ist so gut wie das Original, denn die Kraft, die hinter ihr steht, ist die gleiche«, habe der Führer zu ihm gesagt. Ich nötigte Himmler, mir mehr zu sagen und spürte, wie es in ihn drängte, sich bei einem Verbündeten auszusprechen. In den letzten Jahren wittert er zunehmend Intrigen in den eigenen Reihen und glaubt, niemandem mehr vertrauen zu können. Warum er mir dieses Vorrecht dennoch zugesteht, ist mir ein Rätsel. Er war heute so nervös, dass er des Öfteren in ein Stammeln verfiel, und so musste ich mir aus all dem Gefasel einen Reim machen. Es war von Papst Pius XII. die Rede und davon, dass der Führer ihm die Kopie der Lanze geben wolle.
»Wozu braucht denn der Papst die Lanze?«, fragte ich Himmler.
»Du hast immer noch nichts begriffen«, fuhr er mich ungewohnt barsch an. »Es geht um Macht, verstehst du das denn nicht?«
»Ein Papst hat doch schon Macht«, entgegnete ich.
»Der Führer hat auch schon genug Macht, könnte man meinen.« Himmler schüttelte den Kopf so hektisch, dass sein Doppelkinn wie bei einer Dogge hin und her schwappte. »Macht, mein Lieber, kann man nie genug haben«, betonte er und blickte mir mit demselben hypnotischen Blick in die Augen, mit dem er mich schon einige Male angesehen hatte. »Außerdem ist die Lanze so eine Art Honorar für den Papst. Sie ist sein Lohn.« Ich war entsetzt. Hitler und der Papst machten gemeinsame Sache.
»Sein Lohn, wofür?«, drängelte ich weiter.
»Alles kann ich dir auch nicht sagen, mein Lieber. Ich werde sie Hitler geben müssen, ob ich will oder nicht. Er ist der Führer, und ich bin sein Untertan. Ich habe ihm zu gehorchen. Jawohl. Treue und Gehorsam verpflichten mich.«
Wieso nur werde ich diesmal das Gefühl nicht los, als müsse er besagte Treue und Gehorsam mühsam heraufbeschwören. Ich glaube, er würde alles darum geben, die Lanze behalten zu können.
IX
Professor Smith dachte über die Ankündigung eines Essens bei einem jüdischen Baggerfahrer nach. Er spürte eine Welle der Müdigkeit in sich aufsteigen. »Wissen Sie was? Warum machen wir nicht Schluss für heute? Wir kommen hier im Moment eh nicht weiter. Außerdem spüre ich noch die Zeitumstellung in den Knochen. Ich werde mich jetzt in meinem kleinen Hospiz aufs Ohr hauen, und Sie holen mich gegen 19.00 Uhr mit ihrem schicken Nissan ab. Was halten Sie davon?«
»Ich denke, das ist eine gute Idee. Ich bin auch ziemlich groggy. Neunzehn Uhr ist okay.«
Smith und Lea trennten sich gegen sechzehn Uhr dreißig. Der Professor wollte seine Gedanken
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