Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
erzählte, die ich sonst nur meinem Tagebuch anvertraue. Ich sprach mit Überschwang von der Heiligen Lanze, von der Wewelsburg und von meiner Biografie über Himmler. Sogar den beunruhigenden Zustand, in den Himmler geraten war, nachdem er sich mit der Lanze in den Finger geschnitten hatte, beschrieb ich ihm.
Von dem Moment an, in dem die Sprache auf die Verletzung Himmlers kam, rutschte Francesco allerdings sehr unruhig auf seinem Stuhl hin und her, und ich sah, wie sich Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Er verfiel plötzlich in seine armenische Muttersprache, redete eine Weile für mich unverständliches Zeug und fragte mich schließlich, ob ich mir dieselbe Verletzung zugefügt hätte. Ich erhob meine Hände, drehte ihm die Handflächen zu und zeigte ihm lächelnd meine unversehrten Finger. Da löste sich seine Anspannung. Doch seine Reaktion hinterließ in mir eine Verwunderung, die mich jetzt noch beschäftigt.
»Fasse sie nie wieder an, hörst du?«, sagte Francesco aufgeregt auf Deutsch. »Du weißt nicht, worauf du dich einlässt. Fasse sie nie wieder an, versprichst du mir das?« Er blickte mir ängstlich und beschwörend zugleich in die Augen, als hinge mein Leben von meiner Antwort ab – und so nickte ich ihm lachend zu. Dann sagte er noch: »Wenn es dir möglich ist, ziehe dich aus der Gegenwart Himmlers und Hitlers zurück. Sie sind gefährlich; auf eine Art, von der du nichts verstehst.«
Ich gebe zu, ich habe die Worte des Mönches zunächst nicht ernst genommen, doch je mehr ich nun darüber nachdenke, desto gruseliger erscheint mir die ganze Angelegenheit. Kurze Zeit später wurde Montesi zum Heiligen Vater gerufen, und ich blieb allein in Sichtweite der Privatgemächer zurück. Als sich die Tür nach kurzer Zeit wieder öffnete, sah ich, dass Montesi die eingewickelte Lanze in seinen Armen hielt. Ich erkannte das Tuch und die Größe der Lanze. Das Gesicht des Priesters war kreidebleich. Eilig kam er mir entgegen, und sein Blick schien durch mich hindurchzugehen. »Wir müssen uns jetzt verabschieden«, sagte er kurz. Er deutete auf sein kleines Paket im Arm. »Ich muss die Lanze in Sicherheit bringen. Der Heilige Vater wünscht sie für sich allein zu haben.«
»Vor wem musst du sie in Sicherheit bringen«, fragte ich ihn erstaunt.
»Auch im Vatikan gibt es Neider. Darum wird die Lanze einen gebührenden Platz in der privaten Sammlung des Papstes erhalten.« Dann sah er mich mit festem Blick an. »Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Halte dich von Himmler fern. Er ist gefährlich.«
Er wollte gerade gehen, doch ich hielt ihn am Arm zurück. »Warte noch einen Moment. Kann ich dir schreiben? Können wir nicht in Kontakt …?«
Francesco blickte sich um »Schreib mir hier in den Vatikan. Dein Brief wird mich erreichen, auch in Kriegszeiten.« Dann verschwand er voller Eile, und ich sah ihm noch eine Weile verwundert nach.
Der Hinflug nach Rom war für mich aufgrund der seltsamen Veränderung, die mit Himmler vor sich gegangen war, recht unangenehm gewesen. Nach dem Gespräch mit Montesi hatte ich nun noch weniger Lust daran, neben ihm zu sitzen. Und gottlob gelang es mir, einen Fensterplatz zwei Reihen von ihm entfernt einzunehmen, ohne dass ich Argwohn erregt hätte.
Schneider legte das Tagebuch zur Seite und erhob sich aus seinem Sessel. Er brauchte Bewegung und schritt in seinem Wohnzimmer wie ein Soldat mit hinter dem Rücken verschränkten Armen auf und ab. Mein Vater hat die Heilige Lanze in den Händen gehalten, das ist ja der Wahnsinn.
Richard warf einen Blick aus dem Fenster, und stellte fest, dass es draußen stockdunkel war. Er rieb sich die Schläfe, es pochte in seinem Kopf und die Augen wollten ihm aus den Höhlen springen. Er dachte an die Warnungen seines Vaters. Warum sollte ich die Bücher verstecken? Er fühlte sich matt und schläfrig, und ohne lange darüber nachzudenken, ging er in sein Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Er wollte ein wenig ruhen, doch er schlief augenblicklich ein und erwachte erst am nächsten Vormittag nach einem achtstündigen Tiefschlaf. Der Umstand, dass er die Nacht in Straßenkleidung verbracht hatte, störte ihn nicht, obwohl er sonst allergrößten Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte. Er ging nach seinem Erwachen nicht einmal ins Bad, um sich zu waschen oder zu rasieren. Es erschien ihm in Anbetracht dessen, was im Wohnzimmer auf ihn wartete, völlig unwichtig.
Aus der Küche nahm er eine Flasche Milch und die Packung
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