Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
Worte aus dem Mund von Heinrich Himmler. Natürlich war mir Himmlers Wesenswandel schon öfter aufgefallen, doch an diesem Tag, seit seinem Aufenthalt in dem ominösen Raum im oberen Stockwerk, saß ein vollständig anderer Mann neben mir. Nur die äußere Hülle war jene von Himmler, doch das Innere … wer weiß, wer ihn da besucht hatte.
In Rom wurden wir von einem schwarzen Wagen mit Vatikankennzeichen erwartet, und der Fahrer war bei Weitem nicht so wortkarg wie sein deutscher Kollege. Wild gestikulierend sprach er ohne Unterlass auf Italienisch auf uns ein. Es machte ihm vermutlich nichts aus, dass wir nichts verstanden, und ich glaube, er war aufgrund der Bedeutung seiner Fahrgäste etwas nervös.
Das Wetter in Rom war übrigens nicht so, wie man es von Süditalien erwartet hätte, doch die Sonne schien und es war immerhin einige Grade wärmer als in Deutschland. Schließlich ist auch hier November. Allerdings riecht es dort anders, sauberer und süßer, und ich wünschte mir spontan, mehr Zeit in diesem wunderschönen Land verbringen zu können.
Es war herrlich, den Vatikan zu sehen, obgleich ich als Protestant nicht denselben innigen Zugang zum Heiligen Vater habe wie die Katholiken – zumal der neue Papst schon mehr als einmal Anlass zur Kritik geboten hat. Seine Einstellung zu Hitlers Weltpolitik rückt ihn beim Führer in ein ungünstiges Licht, und böse Zungen behaupteten sogar, Hitler wollte Pius XII. aus dem Weg räumen. Sogar von einer Entführung war in Verschwörerkreisen schon die Rede. Er ist ihm einfach zu unbequem. Am liebsten würde der Führer das unangenehme Kirchenoberhaupt ganz zum Schweigen bringen, und ich beginne zu ahnen, dass die Lanze, die er geschenkt bekommt, diesen Effekt erzielen soll.
Als wir im Vatikan ankamen, erlebten wir eine große Überraschung. Obwohl Ribbentrop Hitler vertreten sollte, ließ der Führer es sich nicht nehmen, mit einer separaten Maschine persönlich nach Rom zu reisen. Inkognito sozusagen. Niemand hatte Kenntnis davon gehabt, und der Eindruck drängt sich auf, das Gespräch mit Pius sei Hitler dann doch zu wichtig gewesen, um es dem Außenminister zu überlassen. Jedenfalls war ihm die Überraschung trefflichst gelungen. Hitler begrüßte seinen ›Getreuen Heinrich‹, wie er ihn manchmal in vertrauensseligen Momenten nennt, doch Himmler gab trotz der Freundlichkeit des Führers seine starre, abweisende Haltung nicht auf. Im Gegenteil, er begrüßte Hitler mit äußerster Kälte, und wenn man bedenkt, wie Himmler an der Lanze gehangen hat, möchte man seine Haltung verstehen – und doch, der Führer ist der Führer, und Himmler hat ihm bedingungslosen Gehorsam geschworen.
Papst Pius XII., Hitler und Himmler zogen sich in die Privatgemächer des Papstes zurück. Erstaunlicherweise wurde Ribbentrop angehalten, auf dem Außengelände zu warten, während vor der Tür zwei Schweizer Gardisten Wache hielten, die so aussahen, als seien sie tatsächlich bereit, in Sekunden beim Heiligen Vater zu sein, um sein Leben gegebenenfalls mit ihrem eigenen zu verteidigen.
Ich vertrieb mir die Zeit mit Schreiben, hielt alle Gedanken und Erinnerungen fest und durfte in Begleitung eines jungen Mönches einige Gänge und Flure des Vatikans besichtigen. Nach einer Weile steckte ich mein Notizbuch in meine Innentasche, da das Gespräch mit dem Pater sehr anregend und angenehm verlief. Er hieß Francesco Montesi , hatte eine warme Ausstrahlung, war sehr zuvorkommend und höflich und stellte einen angenehmen Kontrast zu dem Begleiter dar, der in den letzten Tagen einen so ganz anderen Einfluss auf mich ausgeübt hat. Der Hinterkopf des Mönches wies eine große kahle Stelle auf, eine Tonsur, wie er mir erklärte, als ich grinsend darauf starrte. Der junge Mönch beherrschte die deutsche Sprache zwar nicht fehlerfrei, doch so gut, sodass wir uns verständigen und fast möchte ich sagen, miteinander anfreunden konnten. Alsbald befanden wir uns in einem tiefen, beinah philosophischen Gespräch, das ich gar nicht beenden mochte. Er war gebürtiger Armenier, erst einundzwanzig Jahre alt und seit drei Jahren im Vatikan. Er erzählte mir von seiner Jugend in Armenien, seinem Leben im Kloster und von einer Berufung, auf die er allerdings nicht näher eingehen wollte. Er hatte eine so feine, vertrauenswürdige Art an sich, dass ich all meine Schüchternheit verlor, wie man es nur in der Gegenwart eines lieben Freundes kann.
Und so kam es, dass ich ihm bald auch von Dingen
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