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Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe

Titel: Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg S. Gustmann
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von ihm gewichen, denn wenn er eines hasste, dann war es, dort vorne zu stehen, eine Präsentation zu leiten und seine Mitarbeiter einzuschüchtern. Dies war nicht sein Metier. Schneider zuliebe erhob er sich sofort.
    »Ruf mich heute Abend an und sag mir, wie es gelaufen ist«, flüsterte der ihm ins Ohr. Er klopfte Blome ermutigend auf die Schulter und verließ den Sitzungssaal, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    »Frau Stein, sagen Sie bitte alle weiteren Termine an diesem Tag ab, außer solchen, in denen mich Herr Blome vertreten kann. Haben Sie mich verstanden?«, setzte er gereizt hinzu, als nicht augenblicklich eine Reaktion zu vernehmen war. Sie nickte eilig und machte sich auf den Weg zu ihrem wuchtigen Schreibtisch, auf dem der Terminkalender das vorherrschende Element war. Dort griff sie zum Telefon und wählte die erste Nummer.
    Schneider fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage und stieg in seinen schwarzen Mercedes SL. Er dirigierte ihn über die Serpentinen aus der Garage heraus und reihte sich auf der Straße in den Verkehr ein. Er schaltete sein Navigationssystem an, suchte unter »Angaben zum Zielort« das Krankenhaus heraus, in dem sein Vater lag, bestätigte die Anfrage und hörte wenige Sekunden später die freundliche Automatenstimme. Dies gab ihm die Gelegenheit, mit seinen Gedanken vom Verkehr abzuschweifen. Er dachte an das unangenehme Gespräch mit dem Arzt und fragte sich, was ihn mehr aus der Ruhe gebracht hatte, die Störung seines Vortrages oder die Tatsache, dass es sich um seinen Vater handelte. Dieser lag, wenn er die Worte von Dr. Bergau korrekt interpretiert hatte, im Sterben. Wie wird es sein, wenn er tot ist?, fragte sich Schneider und horchte in sich hinein. War da Freude und Erleichterung darüber, dass er die Querelen mit dem Vater nicht länger würde ertragen müssen, oder waren da eher Mitleid und der Wunsch, das Verhältnis zu seinem Vater zu reparieren? In seiner Firma hatte Schneider alles im Griff und knüpfte die Fäden, wie es ihm gefiel und dienlich war, doch in der Beziehung zu seinem Vater bekam er die Dinge nicht geregelt. Er hielt den Alten für einen sturen Hund, einen langweiligen Postbeamten. Zugleich war er der einzige noch lebende Verwandte, der ihm nach dem frühen Tod seiner Mutter geblieben war. Selbst wenn er seit Jahren keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu ihm gepflegt hatte, war es immerhin noch sein Vater. Dieser hatte all die Jahre versucht, ihm, wie er es nannte, vernünftige Werte zu vermitteln. Was vernünftig ist oder nicht, darüber waren sie nie einer Meinung gewesen. Nun befand sich der Alte im zweiundneunzigsten Lebensjahr, wohnte in dem Haus allein, in dem früher die ganze Familie lebte, und fristete sein Dasein mit der kleinen Rente, die die Post jedem treuen Schalterbeamten auszahlte.
    Richard hatte sich damals entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Er war der Überzeugung, dass man mit deutscher Redlichkeit mehr erreichen konnte als eine Mitgliedschaft im leidigen Mittelstand. Der Gedanke, am Monatsende sein Konto zu betrachten und zu dem Ergebnis zu kommen, dass es weder für eine Reise ans Meer noch für einen neuen Fernseher reicht, behagte ihm ganz und gar nicht. Richard hatte sich geschworen, es seinem Vater nicht gleich zu tun und studierte nach der Schule Betriebswirtschaft. Er wollte reich werden und damit das Ansehen und den Respekt erarbeiten, den man ihm seiner Meinung nach schuldig war.
    Schneider parkte auf dem Parkplatz des Krankenhauses, und ein mulmiges Gefühl beschlich seine Magengegend. Die Klinik baute sich turmhoch vor ihm auf und jedes der unzähligen Fenster darin hielt das Stöhnen und Jammern, das sich dahinter verbarg, zurück. Das letzte Mal hatte er ein Krankenhaus betreten, als sich seine Mutter von ihm verabschiedet hatte, mit einem Tumor im Kopf, der beinahe so groß wie ein Volleyball gewesen war. Er erinnerte sich genau: Sein Vater stand mit leerem Blick vor dem Fußende des Bettes, und er saß neben seiner Mutter auf der Bettkante. Verzweifelt hatte sie sich in ihren Kissen ein letztes Mal aufgebäumt, um ihm ihr abgemagertes bleiches Gesicht entgegen zu strecken. Sie schloss den jungen Richard in ihre Arme, während er bittere Tränen vergoss. Eine Weile ruhte ihre Hand segnend auf seiner rechten Wange, bis sie von einer unbekannten Macht von ihm gerissen wurde. Die Hand erschlaffte, der Blick seiner Mutter wurde trüb und erstarrte. Als sie sich auf das Bett zurücksinken ließ, entwich die Luft

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