Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
ihnen.
»Ich denke, ich muss Sie nun bitten, zu gehen.«
Der Arzt kontrollierte alle Geräte, die den Alten am Leben hielten; sie funktionierten normal.
»Ihr Vater ist sehr schwach. Bei einem Schlaganfall dieser Art ist eine vorübergehende Bewegungsunfähigkeit die Regel. Das Sprachzentrum ist ebenfalls stark betroffen. Eigenartigerweise ist er sehr aufgeregt, seitdem Sie da sind.« Bergau schüttelte den Kopf. »Bis jetzt war er einigermaßen entspannt. Er versucht ständig, uns etwas mitzuteilen, aber es will ihm einfach nicht gelingen.«
Er führte Schneider nach draußen. »Sie müssen sich darauf einrichten, Ihren Vater in einem Heim unterzubringen – für den Fall, dass er die nächsten Stunden oder Tage überlebt, meine ich. Er wird sich nie wieder selbst versorgen können.«
Richard dachte einen Moment nach. »Sind Sie sicher, dass er nicht zurück nach Hause kann?«
Bergau spürte dem Sohn des Kranken die Überforderung ab. Darum fügte er hinzu: »Erst einmal bleibt er bei uns, und wenn Sie möchten, kümmern wir uns bei Bedarf um die Aufnahme in ein Heim.«
Schneider überlegte kurz und nickte. »Ja, das wäre mir sehr recht. Ich kenne mich nicht gut aus in diesen Dingen.«
»Ja, ich weiß«, schmunzelte Bergau. »Sie sind eher ein Finanzexperte.« Schneider schaute ihn verwundert an.
»Ich kenne Sie aus der Zeitung meines Bruders, der mich in Sachen Aktien mal beraten hat. Ich selbst habe keine Zeit für diese Spielchen. Vermutlich würde es sich bei meinem Gehalt auch nicht lohnen.«
Beide wandten sich, nachdem Richard seine Kleidung angezogen hatte, dem Ausgang zu. Dr. Bergau drehte sich noch einmal um.»Ihr Vater wird erst einmal hier unten bleiben. Er bräuchte allerdings ein paar Kleinigkeiten von zu Hause: Pyjama, Zahnbürste, Hausschuhe usw. Würden Sie das besorgen?«
»Ja sicher«, entgegnete Schneider, schielte auf seine Uhr und verließ die Intensivstation. Er sah sich noch ein letztes Mal nach seinem Vater um, blickte in dessen angsterfüllte Augen und hing seinen Gedanken nach. Er strebte dem Ausgang entgegen und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Mit einem lauten Klicken reagierte der automatische Türöffner. Verwirrt setzte er sich hinter sein Lenkrad. Bevor er den Motor starten konnte, fiel sein Blick auf einen alten Schlüssel an seinem Bund. Er fingerte ihn zwischen Safe- und Türschlüsseln hervor und betrachtete ihn nachdenklich. Der Schlüssel zum Haus seines Vaters, seiner Eltern, seiner Kindheit. Schneider fiel ein, dass er die Termine dieses Tages Gerd Blome übertragen hatte, und da er ohnehin noch nicht nach Hause fahren wollte, beschloss er, das Waschzeug seines Vaters sofort zu besorgen. Er konnte es ihm dann an einem der nächsten Tage bringen.
Knirschend rollten die Räder des neuen, 350 PS starken Wagens die mit Kies bedeckte Auffahrt entlang, und Schneider erreichte das in die Jahre gekommene Haus seiner Eltern. Es stammte aus der Zeit um 1900 und war an der Außenfassade derart von wildwucherndem Efeu bedeckt, als wolle das Geäst das Haus eines Tages ganz verschlingen. Es nieselte leicht und die Temperatur wurde gemeinhin als ungemütlich empfunden. Das Bild seines von Schläuchen umschlungenen Vaters flackerte vor Richards Augen auf und er konnte die Assoziation nicht verdrängen, dass sein Vater und das Haus in gleichem Maße verfallen wirkten. Als er den Schlüssel im Schloss der Tür herumdrehte, deren Knauf er Jahre nicht mehr in der Hand gehalten hatte, beschlich ihn ein sonderbares Gefühl. Etwas Geheimnisvolles lag auf diesem Gemäuer, das spürte er seit seiner Kindheit, doch den Grund für diese Empfindung hatte er nie herausgefunden.
II
Mosche Kofsman dirigierte den gigantischen Bulldozer mit geschickter Hand durch das Gelände. Er thronte in seinem Führerhaus und konzentrierte sich auf seinen Job, wobei seinen wachen Augen, die er auf den vor ihm liegenden Abschnitt gerichtet hielt, kein Detail entging. Zielsicher griff er nach den Hebeln und trat im entscheidenden Moment das Pedal für die Kupplung durch. Bei jeder seiner Bewegungen knirschten die Stahlfedern unter seinem Sitz.
Noch zwei Stunden harte schweißtreibende Arbeit lagen vor ihm. Während er sich mit seinem rechten Ärmel die beißenden Tropfen aus den Augen wischte und die Kippa auf seinem unbändigen Haarschopf zurechtrückte, dachte er an seine Familie. Er hatte diesen Job nur ihretwegen angenommen. Was hätte er auch sonst tun sollen, um sie nach seinem abgebrochenen
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