Hueter Der Macht
seid Ihr ein Narr! Es kann niemanden geben, den Ihr so dringend aufsuchen müsstet, dass Ihr dafür Euer Leben aufs Spiel setzt. In Paris herrscht offene Revolte, Mann! Ihr müsst nicht…«
»Hört mir zu, de Noyes! Ihr habt gesehen, was hier geschehen ist. Ein so grauenhafter Mord, dass er nur von den Dienern des Teufels selbst angezettelt worden sein kann! Nicht wahr?«
De Noyes blickte Thomas nur wortlos an. In seinem Blick lagen Wut und Trauer.
»Dieses Dorf ist vom Bösen berührt worden«, fuhr Thomas leise, aber mit Nachdruck fort. »Das Böse, das aus den Toren der Hölle entwichen ist und sich unter die Christen gemischt hat. Ich habe es gesehen und mit ihm gesprochen. Der endgültige Kampf zwischen Gut und Böse wird noch zu unseren Lebzeiten stattfinden, Gilles.«
De Noyes blickte ihn fragend an.
»Zweifelt Ihr an meinen Worten?«, fragte Thomas. »Wie könnt Ihr das? Das Böse ist in dieses Dorf gekommen und hat sich im Geist dieser schwachsinnigen Bauern eingenistet. Nichts anderes kann diese Schändung erklären. Nichts anderes die Schändlichkeit dieser Morde und die Unruhen, die sich überall in Frankreich ausbreiten. Gilles, die Dämonen haben sich unter die Menschen gemischt…«
»Und Ihr wollt sie aufhalten?« De Noyes’ Stimme klang skeptisch. »Den Mord an meiner Schwester konntet Ihr nicht verhindern.«
»Ich…«
Aus der Ferne ertönte ein Ruf und Pferdegetrappel, und Thomas und de Noyes eilten hinaus.
Eine Gruppe von zwanzig Männern war auf den Dorfanger geritten und kam nun – geleitet von de Noyes’ Männern – auf die Kirche zu.
Der Ritter betrachtete sie und hielt dann vor Überraschung den Atem an. »Gütiger Himmel!«
Thomas warf de Noyes einen Blick zu und sah dann wieder zu den Reitern hinüber, die ihre Reittiere vor der Kirche zum Stehen brachten. Die meisten der Reiter waren Bewaffnete oder reich gekleidete Diener, und sie schienen sich um zwei Reiter zu scharen, die sich hinter den ersten vier Bewaffneten befanden.
»Mein Prinz!«, sagte de Noyes und fiel auf ein Knie.
Thomas richtete den Blick auf die beiden Reiter, vor denen de Noyes sich verneigte. Die eine war eine Frau, fast noch ein Mädchen, dünn und blass und mit dunklem Haar, das sich durch den Ritt und die Kapuze ihres blauen Umhangs gelöst hatte.
Der andere war ein Mann von etwa vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, ebenso blass und dunkelhaarig wie die Frau, jedoch sehr aufgeregt. Er blickte zwischen de Noyes und Thomas hin und her und beruhigte sich ein wenig, als er begriff, dass von ihnen keine Bedrohung ausging.
»Wer seid Ihr?«, fragte er mit dünner, brüchiger Stimme.
»Gilles des Noyes, Hoheit, aus dem Herzogtum Maronesse, und Euer demütiger und gehorsamer Diener.«
»De Noyes? Maronesse?« Der junge Mann rutschte unruhig hin und her und blickte sich unsicher um.
Die junge Frau beugte sich zu ihm und sagte etwas mit leiser Stimme.
Ihre Augen blieben dabei auf de Noyes und Thomas gerichtet.
»Ach«, sagte der Mann, »Maronesse liegt südlich von Montmirail, nicht wahr?«
»Ja, Hoheit.«
Der Mann wandte sich mit geringerem Interesse Thomas zu. Schließlich war er nur ein Geistlicher.
Thomas stellte sich nicht sofort vor. Er kannte den Mann gut, obwohl er ihn schon seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte. Prinz Karl, Dauphin von Frankreich und Erbe des französischen Throns.
Thomas hatte noch nie jemanden gesehen, der weniger geeignet erschienen wäre, die Verpflichtungen zu übernehmen, die ihn nach der Gefangennahme seines Großvaters erwarteten. Sein Blick war furchtsam, sein gesamtes Auftreten unsicher, und er schien nicht einmal in der Lage zu sein, klare Anweisungen zur Benutzung eines Staatssiegels zu geben, geschweige denn, ein ganzes Land zu regieren.
Doch was tat er hier?
»Ich bin Bruder Thomas, Hoheit«, sagte er. »Vom Predigerorden.«
»Nun, das sehe ich.« Karl runzelte die Stirn. »Euer Gesicht kommt mir bekannt vor.«
»Alle Prediger sehen irgendwie gleich aus, Herr.«
»Mag sein. De Noyes«, wandte sich Karl wieder an den Ritter, »wie viele Männer stehen Euch zur Verfügung?«
»Ich gebiete über sechzig Feldwebel, aber im Lauf von etwa einer Woche könnte ich an die achtzehn Ritter und über hundert Bewaffnete zusammenrufen. Sie gehören Euch, Hoheit!«
»Oh. Nun, ja…«
»Ich finde es seltsam, dass Ihr nach Osten reist, Hoheit«, sagte Thomas. »Paris wäre doch gewiss sicherer?«
Karls Gesicht lief rot an und mehrere seiner Bewaffneten
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