Hueter Der Macht
machten Anstalten, einzuschreiten, doch da ergriff die Frau das Wort.
»In Paris ist ein Aufstand ausgebrochen«, sagte sie mit klarer Stimme. »Mein Bruder und ich waren gezwungen, zu fliehen.«
Es war Prinzessin Katherine, Karls jüngere Schwester. Thomas hatte sie noch nie gesehen.
»Nennt mir Euer Reiseziel«, sagte de Noyes, »und ich werde mich Euch in etwa zehn Tagen mit so vielen Rittern und Bewaffneten anschließen, wie ich einziehen kann!«
»Nun… hm…«, sagte Karl und plötzlich begriff Thomas, was geschehen war.
Aus irgendeinem Grund war in Paris ein Aufstand ausgebrochen, und Karl hatte nur an Flucht gedacht, nicht aber daran, wohin er sich wenden sollte.
Warum nach Osten? Vermutlich, weil der Dauphin sich in der Nähe des Osttors von Paris befunden hatte, als er beschlossen hatte, zu fliehen, oder vielleicht war nur noch das Osttor offen gewesen.
»Wir reiten nach Roche-Guyon«, sagte Katherine. »Dort wird mein Bruder die Streitmacht ausheben, die wir brauchen, um Paris zurückzuerobern und die englischen Hundesöhne zu vertreiben.«
Es ist eine Schande, dachte Thomas, dass sie als Frau geboren wurde und Karl als Mann. Katherine besitzt viel mehr Mut und Entschlusskraft als ihr Bruder.
De Noyes nickte. »Es ist eine starke Burg, Hoheit. Und ein guter Ausgangspunkt für Euren Feldzug.«
Karl sah sehr unglücklich aus, und Thomas wurde klar, dass ein Feldzug das Letzte war, was er sich wünschte.
Lieber Herrgott, dachte Thomas, der schwarze Prinz hat bereits gewonnen!
»Wir danken Euch, guter Freund«, sagte Katherine und lächelte de Noyes wohlwollend zu. »Wenn Ihr die Namen und den Aufenthaltsort derjenigen kennt, die sich uns anschließen würden, könntet Ihr vielleicht ein paar Eurer Männer zu ihnen schicken?«
»Selbstverständlich, Prinzessin«, sagte de Noyes und verneigte sich vor Katherine. Dann wandte er sich an einen seiner Feldwebel, der in der Nähe stand, und gab ihm mit leiser Stimme einige Anweisungen.
Katherine richtete den Blick auf Thomas. »Guter Mönch, woher kommt Ihr? Eure Aussprache klingt seltsam, und ich kann sie nicht zuordnen.«
»Ich komme aus Rom, Prinzessin.«
Sie lächelte, doch das Lächeln erreichte ihre Augen nicht. »Ihr seid Engländer.«
Dieser Feststellung folgte Schweigen, und die Aufmerksamkeit der Eskorte des Dauphins richtete sich auf Thomas.
»Ich wurde in England geboren, Herrin, aber ich bin…«
»Niemand entkommt seiner Herkunft«, sagte Katherine, verzog das Gesicht und spuckte Thomas vor die Füße. »Ich finde Euch abstoßend!«
De Noyes wandte sich von seinem Feldwebel ab und blickte unsicher zwischen Katherine und Thomas hin und her.
»Der Mönch hat uns gute Dienste geleistet, Prinzessin«, sagte er. »Ein schrecklicher Mord ist in diesem Dorf begangen worden. Der Baron, Sir Hugh Lescolopier, seine Frau – meine Schwester – Marie, ihre Kinder und seine Schwester Beatrice sind geschändet, gefoltert und ermordet worden. Bruder Thomas hat ihnen die Sterbesakramente gegeben und die Totenmesse gelesen. Ohne ihn…«
»Ohne die Engländer hätte es keinen Aufstand und keine Morde gegeben«, sagte Katherine, den Blick immer noch fest auf Thomas gerichtet. »Euer Volk frisst unser Land und seine Menschen bei lebendigem Leibe.«
Thomas antwortete nicht, es gab darauf nichts zu erwidern.
Katherine öffnete den Mund, um weiterzusprechen, doch im selben Moment wurde sie bleich und schwankte gefährlich auf ihrem Pferd.
Einer der Bewaffneten stützte sie, und Karl ergriff zu seiner eigenen Überraschung das Wort.
»Wir müssen uns ausruhen«, sagte er zu de Noyes, »denn wir sind zwei Tage durchgeritten, ohne anzuhalten. Ist das Haus dort bewohnbar?«
»Ja, Hoheit.«
Als sich Karl umdrehte und den Befehl gab, den Hügel hinaufzureiten, wandte sich de Noyes Thomas zu und sagte leise: »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, Bruder, würde ich an Eurer Stelle bald abreisen. Wenn sich Prinzessin Katherine erst einmal wieder erholt hat…«
Thomas nickte, und während der Dauphin mit seinem Gefolge davonritt, drehte er sich um und ging zu seinem Pferd.
Er würde diesen Ort des Todes liebend gern verlassen.
Karl und seine Schwester ruhten sich vierundzwanzig Stunden lang im Haus der Lescolopiers aus, ehe sie ihren Ritt nach Südosten zu der Festung Roche-Guyon fortsetzten. Als sie abreisten, wurden sie von de Noyes begleitet.
In der Abenddämmerung des ersten Tages ihrer Weiterreise stießen sie auf eine merkwürdige
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