Hueter Der Macht
seine Bitte um eine Audienz beim Papst als Beweis für seine maßlose Überheblichkeit ansehen musste, doch Thomas wusste, dass das nicht stimmte. Sein Leben war ganz und gar dem Erzengel und Gott gewidmet; und seine Bitte war demnach ebenso die des heiligen Michael. Es war eine Bitte Gottes, und Thomas hatte keinen Zweifel daran, dass sie erhört werden würde.
»Gütiger Himmel, Bruder«, sagte Bertrand, »eine Audienz bei Papst Urban? Aber…«
»Ist das wohl möglich?«
Bertrand zupfte am ausgefransten Ende seines Gürtels und versuchte, etwas Zeit zu gewinnen. Eine Zusammenkunft mit dem Papst arrangieren? Herr im Himmel! Das könnte das Ende seiner Laufbahn bedeuten!
»Nun, Bruder Prior?«
Bertrand gab auf und breitete hilflos die Arme aus. »Es wird etwas dauern, Bruder Thomas, und vielleicht wird es sich sogar als unmöglich erweisen. Urban sitzt erst seit fünf Tagen auf dem Heiligen Stuhl… und manche sagen, er sitzt womöglich nicht mehr lange dort.«
»Was soll das heißen?« Thomas hatte in der vergangenen Woche so viele Stunden im Gebet verbracht, dass er weder Zeit noch Lust gehabt hatte, Klatschgeschichten zu lauschen.
»Habt Ihr es denn noch nicht gehört? Zwei Tage nach der Wahl haben sich dreizehn der sechzehn Kardinäle wieder auf den Weg nach Avignon gemacht.«
»Warum denn das?«
»Als die Kardinäle ins Konklave getreten sind, befürchteten sie, das Volk würde sie erschlagen, wenn sie keinen Italiener auf den Thron wählten. Nun, wir wissen alle, dass das stimmt. Doch es gibt noch andere Gerüchte. Es heißt, die Kardinäle hätten beschlossen, Urban zum Papst zu wählen, unter der Voraussetzung, dass er innerhalb eines Monats zurücktreten würde, wenn die Mehrzahl der Kardinäle wieder in Avignon sei. Sobald sie in Sicherheit wären, würden die Kardinäle das römische Konklave wegen der Einmischung des Volkes für ungültig erklären und eine neue Wahl stattfinden lassen.«
Thomas kämpfte gegen den Drang an, zu fluchen. Das Kollegium der Kardinäle verfügte schon seit langem über ein Gesetz, nach dem eine Papstwahl für null und nichtig erklärt werden konnte, wenn es zu einer ungebührlichen Einmischung kam.
Und Urbans Wahl hatte eindeutig unter »ungebührlicher Einmischung« stattgefunden.
Dieses Gerücht schien der Wahrheit zu entsprechen.
»Dass das Böse unter uns ist, lässt sich nicht leugnen«, sagte Thomas, »wenn die Kardinäle einen solchen Verrat an der römischen Kirche planen!«
»Wollt Ihr immer noch eine Audienz beim Heiligen Vater?«
Thomas nickte. »Es kann nicht schaden.«
Bertrand faltete schicksalsergeben die Hände. »Ich werde tun, was ich kann.«
Kapitel Sieben
Mittwoch in der Osterwoche
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(21. April 1378)
Während der siebzig Jahre, in denen die Päpste ihren Sitz in Avignon aufgeschlagen hatten, war der Papstpalast neben dem Petersdom verfallen. Gregor hatte im Laufe des Jahres, das er vor seinem Tod in Rom verbracht hatte, nicht viel dafür getan, ihn wieder herzurichten – viele behaupteten, dies sei ein klarer Hinweis darauf, dass er nicht vorgehabt hatte, dauerhaft in Rom zu bleiben –, sondern lediglich das Gebäude wieder bewohnbar gemacht.
Deshalb empfing Urban Bittsteller nicht im großen Audienzsaal, der in den letzten fünfzig Jahren von Römern, die Mauersteine für ihre Häuser suchten, beinahe abgetragen worden war, sondern in einer großen Kapelle, die sich zwischen dem Petersdom und dem Papstpalast befand. Es hatte Prior Bertrand viel Zeit gekostet, und er musste einige Gefälligkeiten einfordern, um einen Platz in der päpstlichen Audienz am Mittwoch für sich und Bruder Thomas zu ergattern, und trotzdem war er sich nicht sicher, ob sie tatsächlich Gelegenheit erhalten würden, mit dem Papst selbst zu sprechen.
Doch das war das Beste, was er hatte erreichen können, und so machten sich Bruder Thomas und er nach dem Mittagsmahl auf den Weg in die Leostadt.
Die Tore in der Mauer neben der Engelsburg waren wieder eingehängt worden, allerdings waren sie weit geöffnet für die Bittsteller und Pilger, die zum Petersdom hinaufstiegen. Der Frühling brachte es mit sich, dass die Pilgerwege nach der Winterunterbrechung wieder begehbar waren, und Bertrand und Thomas mussten sich durch die Menschenmenge kämpfen, die sich auf den Straßen zur Basilika drängte.
Ihre geistlichen Gewänder brachten ihnen keinen Vorteil. Rom war voller Geistlicher aller Art,
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