Hueter Der Macht
einzelner Mann, mithilfe von Gottes Kräften das Böse vernichten, das sich immer mehr unter den Christenmenschen ausbreitete?
Noch schlimmer waren die Erinnerungen, die ungezähmt seinen Geist durchströmten, wann immer er daran dachte, dass der schwarze Prinz und Johann von Gent, der Herzog von Lancaster, erneut Frankreich angriffen.
Das Toben der Schlacht, das Wiehern der Pferde und das Klirren von Stahl, wie die Klinge durch die Luft zischte und nach einer Schwachstelle in der Rüstung des Gegners suchte, und die Freude, wenn sie Knochen und Sehnen durchtrennte. Der Ausdruck von Schrecken und beinahe Verwunderung auf dem Gesicht eines Mannes, wenn er spürte, wie der kalte Tod tief in seinen Leib hineinfuhr.
Das verschwitzte Gesicht eines Freundes, auf dem sich Furcht und wilde Freude abzeichneten, das Glänzen der Rüstungen und die weit aufgerissenen Augen der Schlachtrosse.
Derselbe Freund später am Abend, der den Pokal anhob, um auf den Sieg zu trinken.
Die Bruderschaft der Waffen und des Kampfes.
Johann von Gent – Lancaster – kehrte nach Frankreich zurück und mit ihm seine Freunde und Verbündeten.
Wer begleitete Lancaster wohl? Erinnerungen folgten Lancasters Banner.
Thomas verfluchte Wat Tag um Tag. Nicht nur hatte er ketzerische Reden gehalten, die Thomas’ Seelenfrieden gestört hatten, sein bloßes Auftauchen hatte ein Leben voll Leidenschaften in sein Gedächtnis zurückgerufen, an das er seit vielen Jahren schon nicht mehr gedacht hatte. Er unterstand jetzt Gott und dem heiligen Michael, nicht mehr den Launen eines unbedeutenden Prinzen oder den Befehlen eines machtgierigen Herrschers.
Er diente Gott, nicht der Bruderschaft, die er hinter sich gelassen hatte.
Ich diene Gott, wiederholte Thomas immer wieder im Geiste, nicht der Bruderschaft, die ich hinter mir gelassen habe.
Doch so sehr er sich auch anstrengte – diese Bruderschaft kam ihm auf seiner Reise in den Norden immer wieder in den Sinn und erinnerte ihn daran, dass seine Vergangenheit zwar voller Schuld und Verlust und Schmerz gewesen war, doch zugleich war sie auch eine Zeit der Zusammengehörigkeit und Freundschaft mit Männern gewesen, die er einst mit derselben Inbrunst geliebt hatte wie jetzt Gott.
Während der düstersten Momente seiner Reise fragte er sich, ob er sie nicht sogar mehr geliebt hatte.
An dem Morgen, als Thomas Florenz erreichte, schwanden alle seine Zweifel wie eine Wolke, die vom Wind zerstreut wird. Kurz nach der Sext sah er nach einer Wegbiegung Florenz vor sich liegen, das sich ihm darbot wie das Paradies selbst.
Thomas brachte sein Maultier zum Stehen und schaute auf die Stadt hinab.
Die warme Morgensonne überflutete ihn, und zu beiden Seiten der Straße blühten duftende Sommerblumen in wogenden Kornfeldern. Doch Thomas nahm nichts davon wahr. Er konnte nur auf die von Mauern umgebene Stadt vor sich blicken. Es musste die leuchtende Stadt Gottes sein, denn nichts anderes konnte ihr eine solche Aura des Lichts und der Stärke verleihen.
Er hatte noch nie eine solch schöne Stadt gesehen. Selbst Rom verblasste neben ihr. Nicht nur war sie größer – Florenz war die größte Stadt des Abendlandes –, sondern auch ungleich farbiger, prachtvoller und lebendiger.
Unzählige glänzende Kirchenkuppeln und Gildenhäuser funkelten in der Mittagssonne; helle Steintürme mit roten Terrakottadächern reckten sich über den engen, dunklen Straßen dem Licht der Sonne und Gott entgegen; farbige Banner und Wimpel flatterten an Fenstern und Brüstungen; Brücken wölbten sich anmutig über den sich dahinschlängelnden Arno – der Fluss schimmerte silbern im Licht. Die Kronen von Obstbäumen und Ranken von Weinreben waren in den Höfen von Villen und Wohnhäusern zu sehen.
Thomas bot sich ein überwältigendes Bild von Erhabenheit und Licht, während Rom von Verfall, Chaos und Gewalt geprägt schien.
Weilte Gott an diesem Ort und hatte Rom verlassen?
Thomas versetzte seinem Maultier einen sanften Tritt in die Flanken, und das geduldige Tier begann seinen Abstieg in die reichste und schönste Stadt der Christenheit.
Thomas hatte geglaubt, sein ursprünglicher Eindruck von Florenz würde zunichtegemacht, wenn er auf die überfüllten Straßen gelangte, doch das stimmte nicht.
Hatten die vielen Menschen in Rom bedrückend und oft bedrohlich gewirkt, so waren sie hier fröhlich und lebendig.
Hatten die Gesichter, die sich in Rom nach ihm umgedreht hatten, mürrisch oder argwöhnisch
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