Hueter Der Macht
sein, dass er solche Schuldgefühle in ihm weckte! Wie viele Male hatte ihm Wat das Leben gerettet oder ihn aus einer Situation herausgeholt, bevor er sich zum Narren machen konnte! »Es war nicht so gemeint«, sagte Thomas leise. »Ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt.«
Es war zwar keine ordentliche Entschuldigung, aber Wat wusste, dass es alles war, was er von Thomas erhalten würde, und so gab er sich damit zufrieden.
»Am Hof in Lancaster gibt es einen neuen Seelsorger, Tom. Ein alter Freund von dir.«
»Ja?«
Wat schüttete seinen letzten Schluck Bier hinunter. »Meister Wycliffe.«
»Wycliffe? Aber…«
»Es ist viel passiert, seit du gegangen bist. Dein Kollege in Oxford…«
»Ich kannte ihn kaum. Wir waren nur selten einer Meinung.«
Und jetzt wahrscheinlich noch weniger, dachte Wat. »… hat nun einigen Einfluss auf den Herzog von Lancaster und damit auch auf seinen Vater Eduard. Wycliffe ist der Ansicht«, Wat winkte mit seinem leeren Bierkrug der Frau zu, »die Kirche solle sich nur mit geistlichen Dingen beschäftigen und nicht mit weltlichen.«
Thomas rieb sich die Stirn und sagte nichts dazu. Er und Wycliffe hatten sich während seines Studiums in Oxford oft gestritten, und er wollte seine Meinungsverschiedenheit mit Wat dieses abscheulichen Mannes wegen nicht noch vertiefen.
»Außerdem«, fuhr Wat fort, »hat Wycliffe öffentlich die Meinung vertreten, dass sündige Menschen keine Reichtümer oder Güter besitzen sollten…«
»Da hat ja der alte Mann endlich einmal etwas Vernünftiges von sich gegeben!«
»… und von allen Sündern hält Wycliffe die Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle der heiligen Kirche für die schlimmsten.«
Thomas runzelte die Stirn, nicht sicher, ob er tatsächlich widersprechen konnte.
»Schließlich«, fuhr Wat gelassen fort und reichte der Frau noch eine Münze, als sie ihm ein weiteres Bier brachte, »ist Meister Wycliffe der Ansicht, dass die Kirche den größten Teil ihrer weltlichen Reichtümer und des Landes, das sie besitzt, aufgeben sollte. Geht es in der heiligen Kirche nicht um geistliche statt weltliche Dinge? Sollten die Geistlichen nicht eher Seelen retten, als Reichtum anhäufen?«
Wat grinste spöttisch über den Ausdruck auf Thomas’ Gesicht. Zweifellos hielt Thomas all das für Ketzerei. Nun, Wycliffe hatte viele Anhänger, sogar einige Adlige, die völlig seiner Meinung waren. Wenn die Kirche dazu gezwungen wurde, ihr Land aufzugeben… wer, wenn nicht die Adligen, würde letztlich davon profitieren?
»Und weißt du, was Wycliffe noch gesagt hat?«, fragte Wat und beugte sich ein wenig näher zu Thomas hin. »Nun, er behauptet, all die Messen und Sakramente und der Hokuspokus der heiligen Kirche wären der Suche nach Erlösung nicht dienlich. Stattdessen, so meint der Meister, könne man Erlösung durch ein sorgfältiges Studium der Heiligen Schrift erlangen, ohne die Vermittlung durch einen Geistlichen. Wer braucht schon die Priester?«
Thomas war so schockiert, dass er Wat nur anstarren konnte. Auf den moralischen Verfall innerhalb der Kirche hinzuweisen, war eine Sache, aber zu behaupten, dass man weder Kirche noch Geistliche brauche, um Erlösung zu erlangen, war eine so scheußliche Ketzerei, dass sie Wycliffe nur Satans Dämonen eingegeben haben konnten. Und Wat sprach solche Abscheulichkeiten mitten im Herzen der Christenheit aus. All die neuerwachten Gefühle der Freundschaft zu Wat schwanden dahin.
»Schließlich«, sagte Wat und wischte sich den Schaum ab, den das Bier an seinem Mund hinterlassen hatte, »bereichert sich die Kirche dermaßen an all den Zehnten und Steuern, die sie dem Volk abknöpft, dass sie die letzte wäre, die sagen würde: ›Ihr könnt selbst zur Erlösung gelangen, wenn ihr die Heilige Schrift lesen könntet.‹ Ich habe gehört, dass Wycliffe seine Anhänger die Bibel aus dem Lateinischen in das Englisch des Königs übersetzen lässt, damit das einfache Volk sie lesen kann.«
Gott in die Hand des einfachen Volkes geben? »Er verstößt damit gegen das, was Gott selbst verfügt hat!«
»Aber hast du mir nicht gerade gesagt, deine geliebte Kirche wird womöglich bald von zwei Päpsten geleitet? Willst du etwa behaupten, wir sollen unsere Erlösung in die Hände solcher Schwachköpfe legen?«
Thomas schwieg.
»Vor allem anderen«, sagte Wat leise und eindringlich, »bin ich ein Engländer. Ich unterstehe Eduard und seinen Söhnen und nicht irgendeiner korrupten ausländischen Macht, die
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