Hueter Der Macht
sich als Wächter über unsere Seelen ausgibt. Mir gefallen Wycliffes Worte. Sie sind vernünftig… seine Argumente legen das Schicksal des einfachen Mannes zurück in seine eigenen Hände und nicht in die von…«
»Du bist ein ungebildeter Mann«, sagte Thomas und zog sich wie stets in den Schutz der Frömmigkeit zurück, ehe er einer Bedrohung seiner Welt ins Auge sehen musste. Doch er bedauerte die Worte, sobald er sie ausgesprochen hatte. Wat mochte über wenig Bildung verfügen, doch er war mit den Prüfungen des Lebens wohl vertraut. Thomas stand auf und stieg über die Bank. »Trotzdem solltest du es besser wissen, als die Worte eines Ketzers in der Welt zu verbreiten. Denn damit sicherst du dir einen Platz in der Hölle.«
»Du bist ein selbstgerechter Schwachkopf«, sagte Wat und wandte den Blick ab, »und mein Platz in der Hölle ist mir noch nicht ganz so sicher.«
Thomas starrte ihn an, ein Muskel in seiner Wange zuckte, und er drehte sich um und verließ die Taverne.
Wat blickte ihm hinterher. Er schnaubte verächtlich. »Du magst dich in das Gewand eines demütigen Mönchs hüllen, mein Junge«, sagte er zu niemand Bestimmten, »aber dein Gang verrät immer noch die Überheblichkeit eines Prinzen!«
Dann lachte er auf. »Selbst wenn ein Platz in der Hölle auf mich wartet«, murmelte er, »habe ich nicht vor, ihn jemals einzunehmen.«
Danach wandte sich Wat wieder seinem Bier zu.
»Prior Bertrand, Euch ist sicher klar, dass ich gehen muss.«
Es war Abend und Thomas hatte Bertrand abgepasst, als die Brüder nach dem Vespergebet die Kapelle verließen.
Endlich, dachte Bertrand, endlich verschwindet er! Er beschloss noch am selben Abend, bei der Komplet ein Dankesgebet an den heiligen Michael zu richten. Thomas hätte ihn um Erlaubnis fragen müssen, doch Bertrand wollte diesen geringfügigen Verstoß nicht unnötig hervorheben.
»Ihr folgt Bruder Wynkyns Spuren?«
»Ja. In den Norden, nach Nürnberg. Und danach… wohin der Erzengel Michael meine Schritte lenkt.«
Bertrand nickte. »Ich werde ein Empfehlungsschreiben für Euch verfassen.« Wenn er Thomas mit allen Mitteln unterstützte, verließ dieser Sant’ Angelo umso schneller.
Thomas neigte den Kopf. »Ich danke Euch, Prior Bertrand.«
Bertrand öffnete den Mund, zögerte dann und sagte: »Es heißt, der Heilige Vater habe unter seinem ungehobelten Äußeren nur das Beste der Kirche im Sinn.«
»Mag sein.«
»Thomas… urteilt über die Menschen, die Ihr trefft, nicht allzu hart. Wir sind alle nur Männer und Frauen und mit der Last unserer Sünden beladen.«
Thomas neigte noch einmal den Kopf, sagte jedoch nichts.
Später, als Bertrand allein in seiner Zelle war, saß er lange Zeit still an seinem Schreibpult.
Als der Docht in seiner Öllampe zu flackern begann und zu verlöschen drohte, griff er nach einem Stück Pergament und schrieb, solange das Licht noch ausreichte, eine Zusammenfassung der Ereignisse und Thomas’ Anteil an ihnen für den Ordensgeneral von England nieder, Richard Thorseby. Natürlich war Bertrand froh, dass Thomas abreiste, aber er wollte auch sicherstellen, dass der Mönch niemals wiederkehrte, und dafür war Thorseby genau der richtige Mann. Schließlich hatte Thomas ja nicht um Erlaubnis gebeten, das Kloster verlassen zu dürfen. Solcher Ungehorsam gegenüber den Gesetzen des Ordens verlangte nach strengen Disziplinarmaßnahmen…
»Und ich hoffe, lieber Gott, dass ich bei Dir im Himmel bin«, murmelte Bertrand, als er die Tinte ablöschte, »bevor der nächste Gesandte des heiligen Michael beschließt, einige Zeit in Sant’ Angelo zu verbringen.«
Kapitel Neun
Quatemberfreitag zur Pfingstzeit
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(11. Juni 1378)
Thomas verbrachte die folgenden Wochen seiner Reise auf den Straßen nördlich von Rom in einem Zustand tiefster Melancholie und dachte über die Zukunft von Gottes Wort in einer Welt nach, die den Schmeicheleien des Teufels immer mehr zu verfallen schien. Es war eine beschwerliche Reise. Er wurde von Bettlern, Pilgern und fahrenden Händlern belästigt, die einen einsamen Wanderer für leichte Beute hielten – selbst seine offensichtliche Armut hielt sie nicht davon ab, ihn zu bedrohen –, während Regen und ein heftiger, eisiger Wind zu Thomas’ Seelenqual auch noch körperliche Pein hinzufügten. Er wurde von Zweifeln gepackt: Wie konnte er einer dreißig Jahre alten Spur folgen? Wie konnte er, ein
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