Hüter der Macht
hatte und ins Viertel Santa Croce eingetaucht war, konnte er in manchen Gassen kaum noch die Hand vor Augen sehen. Schäbige Hütten und einfache, schmalbrüstige Mietshäuser wechselten sich ab mit den hölzernen Hallen der Färbereien, die das Flussufer von Santa Croce säumten und die fast genauso viel Gestank verbreiteten wie die Gerbereien am Stadtrand. Um diese Zeit brannte in den Häusern nirgendwo mehr ein Licht, denn die Arbeiter, ermüdet von ihrem schweren Tagwerk, lagen schon längst in tiefem Schlaf.
Aber mehr noch als der Unrat, durch den er stapfte, machte Sandro die Ungewissheit zu schaffen, warum Averardo ihn ausgerechnet zu dieser nachtschlafenden Zeit zur Kirche Santissimi Apostoli bestellt hatte – und welche Rolle er bei dieser beunruhigend geheimnisvollen Unternehmung spielen sollte, damit Pasquale Rovantini zu seinem Recht kam.
Wer führte im dreckigen und stinkenden Viertel der Färber mitten in der Nacht Verhandlungen? Wer ließ sich klaren Verstandes auf so etwas ein? Und was hatte es mit dem Angebot auf sich, das Averardo diesem Manetto di Scalessi machen sollte und von dem Cosimo überzeugt war, dass Scalessi es nicht würde ausschlagen können?
Sosehr Sandro darauf brannte, Antworten auf all diese Fragen zu bekommen, sosehr fürchtete er sich auch davor. Aber Cosimo hatte gewollt, dass er Averado dabei begleitete, und dem hatte er sich nicht widersetzen können.
Einige Minuten vor der verabredeten Zeit traf er vor der Kirche Santissimi Apostoli ein. Wie ein bedrohlicher schwarzer Klotz ragte das imposante Gebäude vor ihm auf. Der Vorplatz, von einfachen Wohnhäusern dicht gesäumt, lag wie ausgestorben da. Unruhig ging er vor dem Kirchenportal auf und ab, lauschte auf Schritte und spähte in die Richtung, aus der Averardo kommen musste.
Er wusste nicht, wie lange er schon gewartet hatte, als plötzlich aus einer der Gassen eine Gestalt auftauchte, die fast eins zu sein schien mit der Dunkelheit. Das musste Averardo sein!
Schon wollte er ihm entgegengehen, doch dann blieb er stehen, weil er erkannte, dass es sich um einen Mönch in schwarzer Kutte handelte, der mit gesenktem Kopf und hochgeschlagener Kapuze über den Platz eilte. Unter dem rechten Arm trug er ein Bündel.
Erst als der Mann nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war und mit leicht kratziger Stimme spöttisch fragte: »Ist das nicht eine Nacht, wie geschaffen für ein kleines aufregendes Abenteuer? Im Gedärm einer Kuh kann es kaum dunkler sein«, da erkannte Sandro, dass es sich tatsächlich um Averardo handelte.
Sandro sah ihn entgeistert an. »Mein Verlangen nach nächtlichen Abenteuern hat sich schon immer sehr in Grenzen gehalten«, antwortete er. »Aber sagt mir lieber, wieso Ihr Euch als Mönch verkleidet habt.«
»Weil uns die Kutte dazu verhilft, unerkannt zu bleiben.«
»Uns?«
»Deine Kutte habe ich hier.« Averardo klopfte auf das Bündel, das er unter dem rechten Arm trug. »Und jetzt lass uns in die Kirche gehen, damit auch du dir rasch deinen Habit überwerfen und einen Strick um die Hüften binden kannst.«
Im stockfinsteren Vorraum des Gotteshauses zog Sandro sich um. Der grobe Stoff der Kutte roch muffig.
Als sie die Kirche verließen, verlangte er mit grimmiger Stimme nach einer Erklärung. »Ich werde mich nicht länger von Euch hinhalten lassen! Entweder Ihr schenkt mir reinen Wein ein oder Ihr müsst bei Eurem … Eurem nächtlichen Abenteuer auf mich verzichten!«
Cosimos Cousin lenkte seine Schritte in Richtung der Färberwerkstätten und Trockenhallen am Flussufer. »Wir haben eine Verabredung mit Manetto di Scalessi«, sagte Averardo schlicht.
»Um diese Zeit und an diesem Ort?«, fragte Sandro ungläubig.
Der Medici lachte leise auf. »Nun ja, genau genommen glaubt Scalessi nach der erpresserischen Botschaft, die ich ihm habe zukommen lassen, dass er hier unten am Arno zur elften Stunde mit seinem ehemaligen Diener Salito verabredet ist, um ihm zehn Florin zu bringen, damit der Dieb auch weiterhin den Mund hält.«
»Zur elften Stunde?«, fragte Sandro verwirrt. »Aber das ist doch schon lange her! Selbst wenn Scalessi auf Eure falsche Botschaft hereingefallen ist, wird er kaum so lange warten.«
»Oh doch, Scalessi hat gewartet, sogar mit wachsender Ungeduld, das kannst du mir glauben«, erwiderte Averardo spöttisch. »Lass dich einfach überraschen.«
Sandro spürte, dass er Averardo nicht mehr entlocken würde, und so bohrte er nicht weiter nach. »Um wie viel Geld geht es
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