Hüter der Macht
Den Freund eines Medici zu betrügen ist nichts anderes, als einen Medici selbst zu betrügen! Ich denke, das siehst du ein.«
Sandro nickte beklommen.
»Gut, dann wirst du wohl auch verstehen, dass man nicht immer nur auf der Sonnenseite des Hauses Medici stehen und sich drücken kann, wenn einmal unangenehmere Aufgaben zu erledigen sind«, fuhr Averardo kühl fort. »Cosimo hat es an außergewöhnlichen Gunstbeweisen für dich wahrlich nicht mangeln lassen. Ganz zu schweigen, was er für dich getan hat, als dir im Kerker Folter und Tod drohten! Er setzt großes Vertrauen in dich. Aber jede Münze hat zwei Seiten, Sandro. Oder wie der alte Giovanni di’ Bicci gern zu sagen pflegte: ›Man kann nicht eine betrunkene Frau und gleichzeitig ein volles Weinfass haben!‹ Du musst dich entscheiden, ob du uns weiterhin loyal zur Seite stehen wirst, einerlei, was geschieht, oder ob du wieder ins zweite Glied zurücktreten willst und fortan nur einer von Cosimos Bankangestellten sein möchtest. Wenn dir das lieber ist, dann gehst du jetzt besser und vergisst alles, was du bisher gesehen und gehört hast.«
Averardo funkelte ihn an.
Sandro wusste, dass er nun an einem Scheideweg stand. Wofür er sich auch entschloss, es würde für seine weitere Zukunft zweifellos schwerwiegende Konsequenzen haben.
Für einen langen Moment rang er stumm mit sich. Dann traf er seine Entscheidung.
Ohne ein Wort zu sagen, steckte er sich die Kieselsteine in den Mund, setzte sich die Holzklemme auf die Nase und schob die Kapuze der Kutte zurück, um sich die Teufelsmaske vor das Gesicht zu binden.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über Averardos Gesicht. »Ich wusste, dass du uns nicht enttäuschen würdest«, sagte er zufrieden. »Also, dann bringen wir die Sache hinter uns.«
Augenblicke später traten sie hinter dem tropfenden Vorhang aus herabhängenden Tüchern hervor und gelangten zu den großen Färberbottichen.
Sofort fiel Sandros Blick auf den Mann, den Averardo an diesen Ort gelockt hatte und der von seinen beiden Handlangern überwältigt worden war. Geknebelt, die Augen verbunden, die Hände auf dem Rücken gefesselt und mit einer Galgenschlinge um den Hals, so hing Manetto di Scalessi im gelblichen Lichtkreis einer Öllampe an einem straff gespannten Seil, das an einem Querbalken über ihm befestigt war. Er konnte gerade noch mit den Fußspitzen den Holzball berühren, den Averardos Männer ihm unter die Füße geschoben hatten. Keuchend und mit von Todesangst gezeichnetem, schweißtriefendem Gesicht kämpfte er verzweifelt darum, das Gleichgewicht auf der Holzkugel nicht zu verlieren. Denn dann würde der Strick sich unweigerlich zuziehen.
Averardo gab seinem Mann ein Zeichen, sich zu entfernen, dann zog er unter der Kutte einen Dolch mit schmaler Klinge hervor. Sandro erschauerte, als hätte ihn ein eisiger Windhauch getroffen. Aber nun war es zu spät, um sich noch anders zu besinnen.
Was in jener Nacht geschah, lastete wochenlang auf Sandros Seele. Die Medici und ihr Gefolge führten schon längst ein beschauliches Leben auf dem Landgut Cafaggiolo und noch immer durchlebte er in seinen Träumen den entsetzlichen Augenblick, als die Klinge des Dolches auf dem Rand eines Färberbottichs das vordere Glied des kleinen Fingers von Manetto di Scalessis linker Hand abtrennte und das Blut aus dem Fingerstumpf spritzte.
Vorher hatte Averardo den Strick durchgeschnitten und gemeinsam hatten sie den wimmernden Scalessi zu einem Bottich mit klarem Wasser gezerrt und dessen Kopf immer wieder untergetaucht, bis er keine Luft mehr bekam und zusammenbrach.
In Sandro hatte sich alles gesträubt, Averardo bei diesem schmutzigen Geschäft zur Hand gehen zu müssen. Die ganze Zeit hatte er Tessa vor Augen, wie sie damals vor nunmehr sechs Jahren im Teich dieser schrecklichen Tortur ausgesetzt gewesen war. Aber Averardo ließ nicht zu, dass er sich drückte.
Dann hatte Averardo Scalessis linke Hand auf den Rand des Bottichs gepresst und Sandro den Dolch in die Hand gedrückt.
»Für jeden Tag, den Ihr Pasquale Rovantini und seine Tochter von nun an auf die ihnen zustehenden achthundert Florin warten lasst, werdet Ihr bluten, Manetto di Scalessi! Heute ist es nur ein kleines Stückchen Eures Fingers«, drohte Averardo mit dumpfer Stimme. »Morgen ist es dann schon ein ganzer Finger und übermorgen …«
Scalessi krümmte sich wimmernd, er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren.
»Nun mach schon!«, forderte Averardo mit einem
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