Hüter der Macht
Seitenblick auf Sandro, und als dieser zögerte, legte sich die Pranke des Medici wie eine eiserne Klaue um seine Hand und zog die scharfe Klinge mit aller Kraft durch den Finger.
In jenen heißen, trügerisch ruhigen Sommermonaten auf Cafaggiolo grübelte Sandro lange darüber nach, was er getan hatte, auch dann noch, als die Albträume allmählich seltener wurden. Aber es waren nicht nur die Gewissensbisse, die ihn plagten, er sann auch immer wieder über die Frage nach, warum es den beiden Medici so wichtig gewesen war, dass er bei der Bestrafung von Manetto di Scalessi nicht nur dabei gewesen war, sondern dass er auch daran teilgenommen hatte.
Schließlich kam er zu dem Schluss, dass es Averardo und Cosimo darum gegangen war, ihm auf drastische Weise nachdrücklich vor Augen zu führen, dass es seinen Preis hatte, wenn man zum auserwählten inneren Kreis der Medici gehören wollte. Es reichte nicht, sich als verlässlich und vertrauensvoll zu erweisen. Man musste auch unter Beweis stellen, dass die Loyalität vorbehaltlos galt und dass man sich dem Haus Medici buchstäblich mit Leib und Seele verschrieb.
Das war nun geschehen und damit war Sandros Schicksal enger denn je mit dem der Medici verbunden. Manchmal regte sich in ihm ein Unbehagen, wenn er darüber nachdachte und sich fragte, wie viel von seiner persönlichen Freiheit er aufgegeben hatte und womöglich noch aufgeben musste, um seinen Aufstieg als Vertrauter von Cosimo de’ Medici fortzusetzen.
Aber dann machte er sich zu seiner eigenen Beruhigung jedes Mal bewusst, dass Freiheit zwar ein sehr hehres, nobles Wort war, das sich jedoch in der rauen Wirklichkeit des alltäglichen Lebens als ein überaus schwammiger, nebulöser Begriff erwies. Wer war denn schon wirklich frei und konnte sagen, dass er in keines anderen Mannes Abhängigkeit stand? Bauern, Tagelöhner und andere aus dem einfachen Volk, die in bedrückender Armut lebten, schon gar nicht. Aber nicht einmal die reichen Kaufleute, die sich in das edelste Tuch kleideten und prächtige Palazzi bewohnten, waren frei vom Zwang, sich zu einer der mächtigen Parteien zu bekennen und sich unter ihren Schutz zu stellen. Selbst Fürsten mussten sich dem Willen noch mächtigerer gekrönter Häupter beugen.
Nein, es war die richtige Entscheidung gewesen, die er damals in der Färberei getroffen hatte. Er brauchte nur daran zu denken, was für ein elendes Leben er geführt hatte, bevor ihn das Schicksal vor sechs Jahren zum ersten Mal nach Cafaggiolo geführt hatte. Jeder musste irgendwann einmal klar Stellung beziehen und akzeptieren, dass es dort, wo die Sonne schien, auch Schatten gab.
Es störte ihn auch nicht, dass sich auf dem Bild, das er sich von Cosimo de’ Medici gemacht hatte, mittlerweile dunkle Flecken gebildet hatten. Er hatte immer geahnt, dass Cosimo einen vielschichtigen Charakter besaß und dass er es vorzüglich verstand, in der Öffentlichkeit die weniger freundlichen Seiten seines Wesens hinter der Maske des allzeit wohlmeinenden und gleichmütigen Geschäftsmanns zu verbergen. Wie hieß es doch: Stille Wasser sind tief, und wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Von Sandros Hand würde er jedoch nicht kommen.
Und Tessa? Die Monate der Trennung von ihr fielen ihm wieder einmal schwer und ließen ihn schmerzlich spüren, dass die Sehnsucht nach ihr stärker denn je in ihm brannte. Sein Verstand konnte ihm tausend Mal vorhalten, dass er sich damit abfinden musste, sie wohl nie freikaufen zu können; sein Herz wollte einfach nichts davon wissen.
Mitunter drängte sich jedoch ein dunkler, unerwünschter Gedanke in seine Wünsche und Hoffnungen und dann spürte er, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. War er überhaupt noch der, den Tessa kannte und liebte? Oder hatte er sich schon zu sehr verändert?
3
A ls der August 1433 in die dritte Woche ging, tauchte Poggio Bracciolini auf Cafaggiolo auf. Er brachte keine guten Nachrichten aus Florenz.
»Die Wahl der neuen Prioren und des Gonfaloniere für die Monate September und Oktober ist eine üble Farce gewesen!«, rief er empört aus, als er sich zu Cosimo, Lorenzo und Averardo in den kühlen Schatten der Loggia setzte. Sandro zog sich leise in den Hintergrund zurück. »Ich habe noch nie eine Wahl erlebt, die von Anfang an so offensichtlich manipuliert und von so schamlosen Bestechungen gekennzeichnet war wie diese!«
Cosimo schien das nicht weiter zu beunruhigen. »Damit mussten wir rechnen, Poggio«,
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