Hüter der Macht
Verbleib, eilte sie zur Tavola und bat dort, Matteo Trofaldo in einer wichtigen persönlichen Angelegenheit sprechen zu dürfen.
Matteo kam aus seinem Kontor, und als er Tessa im Gang erblickte, legte er den Finger auf die Lippen und zog sie mit sich hinaus auf den Markt hinter den großen Stand eines Gemüsehändlers.
»Hast du etwas von Sandro gehört?«, presste sie atemlos hervor.
Matteo sah sich wachsam um, dann schüttelte er den Kopf. »Leider nicht.«
»Vielleicht ist er ja gar nicht mit Cosimo de’ Medici zusammen in die Stadt zurückgekehrt und auf Cafaggiolo geblieben«, sagte Tessa hoffnungsvoll. Sie klammerte sich an diesen Gedanken, auch wenn das bedeuten würde, dass sie ihn für lange Zeit nicht wiedersehen würde. Aber er wäre in Sicherheit, und das war ihr viel wichtiger.
Matteo zuckte mit den Achseln. »Schwer zu sagen. Dass er nicht wenigstens kurz bei mir und Ippolita zu Hause aufgetaucht ist, muss allerdings nicht unbedingt heißen, dass er nicht in der Stadt ist.«
»Du meinst, er könnte sich anderswo versteckt halten?«
»Gut möglich. Er wird gewarnt sein. Denn wer weiß, ob die Albizzi jetzt nicht auch Jagd auf Leute wie ihn machen, um ihnen womöglich auf der Folter irgendwelche falschen Aussagen abzupressen, die sie dann gegen Ser Cosimo verwenden können«, sagte er mit finsterer Miene.
»Um Himmels willen!«, stieß Tessa entsetzt hervor.
»Hab keine Angst«, versuchte er, sie zu beruhigen. »Sandro ist nicht auf den Kopf gefallen. Der passt schon auf sich auf. Verlass dich drauf!«
»Aber wo könnte er sich versteckt haben, falls er doch in der Stadt ist?«
»Ich weiß nicht. Aber wenn ich Sandro wäre, würde ich mich wegen eines guten Verstecks als Erstes an seinen Freund Jacopo Paco drüben im Borgo San Frediano wenden. Das ist der, dem die Schenke Lombrico gehört. Glaub mir, Jacopo weiß bestimmt, wie und wo man in Florenz am besten untertauchen kann.« Matteo schenkte Tessa ein aufmunterndes Lächeln. »Vielleicht machen wir uns ja ganz unnötig Sorgen um ihn.«
Tessa sah ihn gequält an. »Nichts hoffe ich mehr als das, Matteo.« Dann dankte sie ihm, bat ihn um Nachricht, falls Sandro sich doch noch bei ihm melden sollte, und machte sich auf den Weg hinüber nach Santo Spirito.
Doch ihre Hoffnung, von Jacopo Paco etwas über Sandros Aufenthalt zu erfahren, erfüllte sich nicht. Auch der kleinwüchsige Wirt hatte Tessas Freund nicht zu Gesicht bekommen.
»Kannst du mir eine Nachricht zukommen lassen, falls er bei dir auftaucht?«, bat sie auch ihn und teilte ihm mit, wo sie wohnte. »In der Woche wendest du dich am besten an die Köchin Carmela. Auf die ist Verlass. Und sonntags triffst du mich nach der Morgenmesse vor der Kirche Santissima Annunziata.«
Jacopo versicherte ihr, Nachricht zu geben.
Schließlich blieb Tessa nichts anderes übrig, als niedergeschlagen in die Via San Gallo zurückzukehren. Dort weihte sie Carmela ein. »Ich hoffe, dass ich dir damit keine Unannehmlichkeiten bereite. Aber außer dir weiß ich niemanden im Haus, dem ich vertrauen kann. Und ich mache mir solche Sorgen um Sandro!«
Die mütterliche Köchin strich ihr beruhigend über den Arm. »Das hast du genau richtig gemacht. Ich helfe dir gern. Und sorg dich nicht zu sehr. Du wirst bestimmt schon bald von deinem Sandro hören.«
Tessa schenkte ihr einen dankbaren Blick.
Doch aus den bangen Stunden der Ungewissheit und des Wartens wurden Tage, ohne dass sie ein Lebenszeichen von Sandro erhielt, und die Sorge um ihn wurde zur nackten Gewissheit, dass ihm etwas zugestoßen war.
6
D ie Türme und Dächer der Stadt lagen noch im warmen Schein der tief stehenden Sonne, während in der Zelle des Glockenturms schon diffuses Dämmerlicht herrschte.
Cosimo de’ Medici saß auf der harten Pritsche. Er hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in die Hände gelegt. Dumpf vor sich hin brütend, starrte er auf den rauen Steinboden.
Der zweite Tag seiner Gefangenschaft neigte sich dem Ende zu. Bis auf den Hauptmann Federigo Malavolti hatte er niemanden zu Gesicht bekommen. Weder war der bestochene Gonfaloniere von Rinaldo degli Albizzis Gnaden zu ihm heraufgestiegen, um ihn endlich darüber in Kenntnis zu setzen, was man ihm zur Last legte, noch hatte ihn irgendein anderes Mitglied der Signoria aufgesucht. Sie behandelten ihn, das Oberhaupt der Medici, wie einen Schwerverbrecher, ja sogar wie einen Aussätzigen.
Er wusste nur zu genau, dass sein Leben in höchster Gefahr war
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