Hüter der Macht
Soldat nicht den Weg zu den angrenzenden Gemächern einschlug, sondern am Ende des kurzen Verbindungsganges die Treppe hinauf ins Obergeschoss des Glockenturmes ging, ahnte er schon, wohin man ihn brachte. Dort oben, auf halber Höhe, gab es einen kleinen Raum, der im Volksmund spöttisch l’alberghettino, die kleine Herberge, genannt wurde. Es war eine kleine Kerkerzelle, aus der es kein Entkommen gab.
Wenig später blieb der Hauptmann vor einer rundbogigen, mit zwei breiten Eisenriegeln verstärkten dicken Holztür stehen. Er schob die Riegel zurück, zog die Tür auf und bedeutete Cosimo stumm, in die Zelle zu treten.
Cosimo trat in die winzige Kammer aus dunklen, grob behauenen Steinmauern. Sogleich fiel die Bohlentür hinter ihm ins Schloss. In die Wand, die zur Piazza zeigte, war ein winziges vergittertes Fenster eingelassen, durch das ein wenig Licht in die Zelle fiel.
Ein einfacher Stuhl, eine harte Pritsche und ein kleiner Tisch bildeten die karge Einrichtung der Zelle.
Angesichts dieses Gefängnisses wankte Cosimo de’ Medici das erste Mal. All seine Gelassenheit und seine äußere Ruhe fielen von ihm ab und er spürte, wie ein Zittern ihn überfiel, das er nicht mehr kontrollieren konnte.
Er konnte nicht glauben, was ihm widerfahren war. Alle hatten ihn gewarnt, dass man ihn mit dieser Einladung zur Sitzung in eine Falle locken wollte, doch er hatte es nicht wahrhaben wollen und sich für unantastbar gehalten. Nun war die Falle zugeschnappt und er war Gefangener einer Signoria, die sein Erzfeind Rinaldo in der Hand hatte!
5
W ie ein Lauffeuer ging die Nachricht durch die Stadt, dass die Signoria Cosimo de’ Medici verhaftet hatte und in der Zelle des Glockenturms gefangen hielt. Sogleich begann die Gerüchteküche wild zu brodeln und die haarsträubendsten Geschichten in die Welt zu setzen. Je nachdem, auf welcher Seite man stand, wussten die einen davon zu berichten, dass die Regierung ein Komplott der Medici aufgedeckt und durch Cosimos Verhaftung gerade noch rechtzeitig verhindert habe. Andere dagegen, die sich zum Lager der Medici zugehörig fühlten, empörten sich über Cosimos Festnahme und werteten sie als untrügerisches Anzeichen dafür, dass Rinaldo und seine Anhänger alte Rechnungen begleichen und ihrerseits nach der Macht im Staat greifen wollten. Auch wurden sogleich Stimmen aus dem Lager der Albizzi laut, die Cosimos unverzügliche Aburteilung und Hinrichtung forderten. Wer nur auf Verbannung plädierte oder gar Freispruch verlangte, wurde niedergeschrien und bedroht.
Auf den Straßen und Plätzen kam es hier und da schon zu ersten handgreiflichen Zusammenstößen zwischen den Anhängern der rivalisierenden Parteien. Dabei tat sich Rinaldos Sohn Ormanno ganz besonders hervor. Er hatte seine bewaffneten Gefolgsleute schon zu früher Morgenstunde um sich geschart und schickte sie nun in kampfstarken Gruppen zu den strategisch wichtigen Punkten der Stadt, um dort Proteste und Versammlungen der Medici-Anhänger im Keim zu ersticken, notfalls auch mit blank gezogenem Schwert. Überall war bedrohliches Waffengeklirr zu hören und die Stadt befand sich im Handumdrehen in einem wilden Aufruhr. Wer sich von Cosimos Verwandten noch in Florenz aufhielt, sah bis auf wenige Ausnahmen zu, dass er sich umgehend in Sicherheit brachte und die Stadt verließ.
Ins Haus der Vasetti gelangte die sensationelle Nachricht durch einen Stallknecht. Er kam gerade mit Lionettos bestem Reitpferd vom Schmied zurück, der die Hufe des Rotfuchses neu beschlagen hatte.
Als der Knecht ins Haus gestürzt kam und aufgeregt rief: »Cosimo de’ Medici ist verhaftet worden! Er sitzt im Glockenturm ein!«, hatte Tessa gerade das späte Frühstück für Fiametta in der Küche auf ein Tablett gestellt und wollte hinauf zu ihrer Herrin eilen. Der Schreck fuhr ihr derart in die Glieder, dass das Tablett in ihren Händen bedrohlich schwankte und ein wenig heiße Milch aus der bauchigen Tasse schwappte. Ihr Herz krampfte sich vor Sorge um Sandro zusammen. Die Verhaftung des Oberhauptes der Medici brachte jeden in Gefahr, der nicht nur zu Cosimos Familie, sondern auch zum engen Kreis seiner Vertrauten gehörte. Und dazu gehörte Sandro ohne jeden Zweifel schon seit geraumer Zeit.
Carmela, die Köchin, die um Tessas Liebe zu Sandro wusste, kam aus der Küche und tauschte mit ihr einen besorgten Blick, während von der Treppe Lionettos Stimme ertönte. Herrisch rief er nach dem Stallknecht, wohl um weitere Einzelheiten von
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