Hüter der Macht
volltönender, feierlich theatralischer Stimme: »Volk von Florenz! Behauptet Ihr, dass sich am heutigen Tag an diesem Ort ein Drittel von Euch zum Parlamento versammelt hat?«
Sogleich antwortete ihm die Menge im Chor, wie es das alte Ritual vorschrieb: »Ja, das behaupten wir!«
»Gebt Ihr also Eure Zustimmung, dass zum Wohle der Kommune eine Balia eingesetzt wird?«
»Ja, die geben wir!«, brüllte die handverlesene Versammlung mit wilder Begeisterung.
Cosimo de’ Medici, der das alles in seiner Zelle mit anhören konnte, spuckte verächtlich durch das Gitter, wandte sich mit bleicher Miene ab und sank auf seine Pritsche. »Was für eine Schmierenkomödie!«, murmelte er. Er wusste, was jetzt kam. In einer stundenlangen Zeremonie wurden zweihundert Männer ausgewählt.
Der Gonfaloniere las den Namen jedes einzelnen Bürgers vor, der von der Signoria als Mitglied der Balia vorgeschlagen wurde. Zwar hatte die Versammlung das Recht, jeden vorgeschlagenen Bürger abzulehnen, aber die Männer auf der Piazza wussten, was von ihnen erwartet wurde – und was demjenigen drohte, der es wagte, einen der vorgelesenen Namen in aller Öffentlichkeit abzulehnen.
Zu Anfang folgte auf jeden Namen, den Bernardo Guadagni der Menge zurief, ein tosender Beifallssturm, als hätte der Gonfaloniere den Retter der Republik verkündet. Diese lautstarke Zustimmung brandete auch dann auf dem Platz auf, wenn der Name, den der Gonfaloniere ihnen nannte, fast gänzlich unbekannt war.
Klar und deutlich drangen die Namen zu Cosimo herauf, aus denen sich die Balia zusammensetzen würde. Und es überraschte ihn keineswegs, dass niemand seiner erbitterten Feinde und neidvollen Konkurrenten fehlte, die seinen Tod kaum erwarten konnten: Rinaldo degli Albizzi, Niccolò Barbadori, Palla Strozzi, Ridolfo Peruzzi und wie sie alle hießen.
Und mit jedem Namen eines Gegenspielers des Hauses Medici, der über den Platz schallte und von der Menge mit allmählich heiser werdendem Gebrüll bestätigt wurde, sank Cosimos Hoffnung auf Rettung.
Nachdem die Balia eingesetzt war und sich die zweihundert Mitglieder zu ihren Beratungen zurückgezogen hatten, fürchtete Cosimo mehr denn je, vergiftet zu werden. Es wäre wahrlich nicht die erste Balia gewesen, die sich vor einem unpopulären öffentlichen Todesurteil gedrückt und sich durch einen heimtückischen Giftanschlag ihrer unangenehmen Aufgabe entledigt hätte. Deshalb weigerte er sich weiterhin, etwas anderes als trockenes Brot und Wasser zu sich zu nehmen, ließ sich bei beidem doch durch vorsichtiges Probieren leicht herausschmecken, ob es vergiftet war oder nicht.
»So kann es nicht weitergehen, Ser Cosimo. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr Euch langsam zu Tode hungert«, sagte Malavolti drei Tage nach dem Parlamento, als er zur Abendstunde wie üblich das Essen brachte.
Cosimo warf ihm einen bitteren Blick zu. »Wollt Ihr mich vielleicht zum Essen dieser köstlichen Palastspeisen zwingen?«
»Nein, das werde ich gewiss nicht tun«, erwiderte der Hauptmann. »Ich werde vielmehr Euer Vorkoster sein.«
Verblüfft sah Cosimo ihn an. »Euer Mut ehrt Euch. Aber ich kann Euch nur eindringlich davon abraten.«
»Mut ist dazu nicht nötig«, versicherte Malavolti und lächelte. »Denn dies ist mein Essen, das meine Frau für mich zubereitet hat. Also setzt Euch an den Tisch und greift zu. Es ist genug für uns beide da.«
»Gott segne Euch für Euren Anstand und für Eure Güte«, sagte Cosimo gerührt.
Der Hauptmann zuckte verlegen mit den Achseln. »Verliert bitte nicht so viele Worte darum. Ich gehe hier nur meiner Arbeit nach, so wie das jeder rechtschaffene und gottesfürchtige Mann tun sollte. Ich bin Soldat und ich lasse mich nicht als Handlanger von Meuchelmördern missbrauchen. Das ist alles, Ser Cosimo.«
Während der gemeinsamen Mahlzeit zeigte sich Malavolti ungewöhnlich gesprächig.
»Dringt etwas nach außen von den Beratungen der Balia?«, fragte Cosimo vorsichtig.
Malavolti ließ sich Zeit mit seiner Antwort, während er auf einem Stück Hammelfleisch herumkaute. »Es läuft wohl nicht ganz so, wie es sich manch ein Prior erhofft hat.«
Cosimo horchte auf. Sein Wärter schien sich längst nicht mehr so streng an die Vorschriften zu halten wie in den ersten Tagen.
Vorsichtig lenkte Cosimo das Gespräch auf die Macht des Goldes und auf das Vermögen, über das er noch immer verfügte und das einem einfachen Mann im Handumdrehen zu einem Leben in Wohlstand verhelfen
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