Hüter der Macht
mich, richtig?«
Malavolti nickte.
»Wird die Hetze Wirkung zeigen?«
Zuerst zuckte der Hauptmann mit den Achseln, dann nickte er.
Die stumme Antwort auf seine nächste Frage fürchtete Cosimo mehr als all die anderen, die er bisher erhalten hatte. Kurz erwog er, die Frage gar nicht zu stellen. Nein, er würde nicht die Augen davor verschließen. Ein Medici ließ sich nicht einschüchtern!
»Wird die Signoria das Volk zu einem parlamento aufrufen?«
Malavolti nickte nachdrücklich.
Cosimo hatte die Reaktion erwartet und trotzdem bereitete es ihm Mühe, gelassen zu bleiben und kein Erschrecken zu zeigen. Ein Parlamento war die alte Prozedur einer öffentlichen Volksbefragung auf der Piazza della Signoria. Sie diente der Regierung vor schwerwiegenden Entscheidungen dazu, ein Komitee namens balia einzusetzen, in das gewöhnlich rund zweihundert Bürger berufen wurden. Eine Balia hatte Vollmachten, die weit über die verfassungsmäßigen Rechte einer Signoria hinausgingen. In der Vergangenheit hatte dieser Ausschuss, bei dessen Zusammensetzung man nichts dem Zufall überließ, fast immer ihren Fürsprechern in der Signoria dazu gedient, die Macht im Staat legal an sich zu reißen und unter dem Deckmantel der ihnen vom Volk zugestandenen Vollmachten unbarmherzig mit ihren Feinden abzurechnen.
»Wann wird die Signoria zum Parlamento rufen?«, fragte Cosimo leise. »Womöglich schon morgen?«
Der Hauptmann nickte und nun stand unverhohlenes Mitgefühl in seinen Augen. Denn in Florenz wusste jeder, worauf ein solches Parlamento hinsteuerte und welche Aufgabe die Balia mit ihren handverlesenen Mitgliedern zu erfüllen hatte. Im Fall von Cosimo de’ Medici würde das nichts anderes heißen, als dass seinem Todesurteil der Anschein verfassungsgetreuer Rechtmäßigkeit gegeben wurde.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte Malavolti und nahm den Korb hoch. »Die Öllampe lasse ich Euch hier. Sie ist gut gefüllt und wird Euch lange Licht spenden.« Er zögerte kurz. »Es ist nicht recht, wie schändlich man Euch behandelt«, murmelte er noch, dann verließ er die Zelle.
Cosimo war dankbar für die Öllampe, auch wenn sie die kalte Finsternis, die seine Gedanken umfing, mit ihrem Licht nicht zu vertreiben vermochte.
Morgen also würde Rinaldo nach der uneingeschränkten Macht im Staat greifen, indem er ihn und das Haus Medici endgültig vernichtete!
Am Morgen des 9. September 1433 begann die alte Glocke des Regierungspalastes zu läuten. Unheilvoll schallten die dunklen Töne vom Turm hinab auf die Stadt und riefen die Bürgerschaft zum Parlamento auf die Piazza della Signoria.
Noch bevor der erste Glockenton erklungen war, hatten schon mehrere Hundertschaften von bewaffneten Albizzi-Anhängern unter Führung von Rinaldos Sohn Ormanno einen dichten Ring um die Piazza gelegt und alle Gassen und Straßen, die darauf mündeten, abgeriegelt.
Die Menschen, die beim Klang der Glocke aus allen Teilen der Stadt zusammenliefen und zur Piazza strömten, stießen schon weit davor auf Ormannos waffenstarrende Männer, die ihnen den Zugang verwehrten. Jeder wütende Protest erstarb angesichts der Schwerter und Lanzen, die sich ihnen entgegenstreckten. Nur wer als Verbündeter und treuer Gefolgsmann der Albizzi bekannt war, wurde durchgelassen. Zu ihnen gesellten sich mehrere Dutzend zerlumpte Tagelöhner und Vagabunden, die eigentlich gar kein Wahlrecht besaßen, da sie keinen festen Wohnsitz in der Stadt vorweisen konnten. Aber sie waren willige Beifallklatscher, die für ihr lautes Gebrüll bezahlt wurden und denen es gleichgültig war, worüber sie an diesem Tag abstimmen sollten.
Es dauerte geraume Zeit, bis sich der große Platz endlich so weit gefüllt hatte, dass zumindest der Anschein gewahrt wurde, es hätte sich ein Gutteil der Bevölkerung von Florenz eingefunden. Aber an das vorgeschriebene Drittel reichte die Versammlung bei Weitem nicht heran.
Schließlich verstummte das Glockengeläut im Turm. Kurz darauf erschienen die Prioren und der Gonfaloniere in ihren prächtigen roten Roben und begaben sich mit würdevollem Ernst hinaus auf die ringheria, eine erhöhte Plattform, die sich zwischen den beiden Türen des Palazzo erstreckte. Palastdiener hatten neun rotsamtene Armstühle mit vergoldeten Lehnen unter einer Markise aufgestellt.
Während die Prioren auf den weich gepolsterten Stühlen Platz nahmen, trat Bernardo Guadagni an die Brüstung und rief, nachdem das Murmeln und Tuscheln in der Menge verstummt war, mit
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