Hüter der Macht
Entscheidung war schnell herbeigeführt.
Hauptmann Malavoltis Truppe war in der Überzahl und verstand sich besser auf das Waffenhandwerk als die Angreifer. Ormannos Männer mussten viele Treffer einstecken. Wenn die Wunden an Armen und Beinen auch nicht lebensbedrohlich waren, so kühlten sie doch rasch den Mut der Angreifer. Flüche und Schmerzschreie drangen über den Platz und hallten von den umliegenden Häusern wider. Fast genauso plötzlich, wie der Angriff begonnen hatte, brach er in sich zusammen. Ormanno degli Albizzi war einer der Ersten, denen die Lust am blutigen Kampf verging und der sich aus dem Staub machte.
Unbehelligt und sicher bewegte sich der Zug daraufhin mit seiner bewaffneten Eskorte durch das Tor im Norden aus Florenz hinaus in das Contado, wo er schon bald auf Niccolò da Tolentino und die Bauernmiliz traf, die von nun an Cosimos Schutz übernahmen.
Als sich der Himmel über dem Horizont glutrot färbte und ein neuer Tag heraufzog, legte der Heerzug auf einer Anhöhe bei Pistoia eine kurze Rast ein. Gedankenversunken blickte Cosimo zurück, in die Richtung, wo Florenz lag. Irgendwann sagte er zu Sandro: »Rinaldo hat einen verhängnisvollen Fehler gemacht. Dafür wird er bitter bezahlen.«
Sandro sah ihn fragend an.
»Einen Mann wie mich rührt man nicht an, Sandro. Und wenn man es doch wagt, dann muss man damit rechnen, dass man vernichtet wird. Für immer.« Er machte eine kurze Pause, und als er weitersprach, lag ein kaltes Funkeln in seinen Augen und seine Stimme klang hart wie Stahl: »Er hat es ein Mal versucht. Ein zweites Mal wird es nicht geben. Dafür werde ich sorgen.«
9
S andros Abreise in die Verbannung lastete wochenlang qualvoll auf Tessas Seele. Nicht einmal ein Abschied war ihnen vergönnt gewesen. Ihr war, als wäre ihre kleine Welt in einen schwarzen Abgrund gestürzt. Zwar musste sie nicht mehr um sein Leben fürchten, aber das konnte ihr kein Trost sein. Zehn Jahre! Zehn Jahre, in denen sie ihn nicht sehen würde, in denen sie seine Hände und seine Lippen nicht spüren würde. Wie konnte sie diese Qual ertragen, nachdem sie in seinen Armen eine Glückseligkeit erfahren hatte, von der sie vorher nicht einmal zu träumen gewagt hatte?
Jede Nacht weinte sie sich in den Schlaf. Und jeder Tag kostete sie unendliche Kraft und Überwindung, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, der in ihr tobte, und wie gewohnt ihrer Arbeit nachzugehen. Es war eine zermürbende Mühsal, auf Fiamettas Wünsche und Launen einzugehen und dabei so zu tun, als sei alles wie immer.
Lionetto Vasetti ließ weiterhin keine Gelegenheit aus, Fiametta wegen ihrer Körperfülle zu demütigen und sie spüren zu lassen, dass sie in seinen Augen eine Schande für seine Familie war. Seit geraumer Zeit hielt er sich eine Geliebte und diesen Umstand verbarg er erst gar nicht vor Fiametta. Als diese Ende Oktober einen Sohn zur Welt brachte, machte er sich sogar ein Vergnügen daraus, Fiametta noch am selben Tag das freudige Ereignis mitzuteilen und ihr anzukündigen, dass er sein uneheliches Kind schon bald ins Haus holen und unter seinem Dach aufziehen werde.
Erst in der letzten Oktoberwoche hellte sich das Dunkel in Tessas Seele ein wenig auf und sie fasste wieder Mut.
»Ich habe etwas für dich«, raunte Carmela ihr eines Mittags verschwörerisch zu, als sie in die Küche trat, um Fiamettas Frühstück abzuholen. Dabei klopfte Carmela mehrmals auf die Tasche ihrer Schürze. »Ein Brief von deinem Geliebten! Jacopo hat ihn gerade gebracht. Ich lese ihn dir später vor, wenn wir in der Stadt sind.«
Tessas Gesicht leuchtete auf. »Nein, das musst du jetzt gleich tun!«, erwiderte sie aufgeregt. Leider verstand sie sich nicht besonders gut aufs Lesen. Sie kannte zwar die einzelnen Buchstaben, aber um Sandros Brief langsam Wort für Wort zu entziffern, fehlte ihr die Geduld. »Lass uns in die Speisekammer gehen. Da sind wir ungestört.«
Carmela schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre nicht klug. Willst du etwa, dass eines der Hausmädchen uns dabei überrascht? Dann gibt es Getuschel und Gerede und das dringt womöglich sogar noch ans Ohr unserer Herrschaft. Und was das bedeutet, brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen.«
Tessa seufzte. »Du hast ja recht.«
»Wir gehen nachher in die Stadt und suchen uns einen Ort, wo wir ungestört sind. Ich muss sowieso noch einige Einkäufe machen und da fällt es nicht auf, wenn du mich begleitest.« Sie drückte Tessa das vorbereitete Tablett in die
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