Hüter der Macht
Cosimo. »Ihre Väter haben Jahrzehnte von ihrem Ruhm gezehrt, weil sie bei der Eroberung von Pisa eine herausragende Rolle gespielt haben. Und jetzt, wo sie in ihrer Familie das Oberhaupt sind, wollen die beiden endlich aus dem Schatten ihrer Väter treten. Eine Eroberung von Lucca würde sie zu Lieblingen des Volks machen und ihnen einen erheblichen Anteil an der Staatsmacht sichern.«
»Ich glaube aber nicht, dass sie mit ihrem Plan durchkommen und eine Mehrheit in der Signoria finden, die einem neuen Krieg zustimmen muss«, wandte Averardo ein, doch seine Stimme klang nicht ganz so selbstgewiss wie zuvor.
»Ich schon!«, beharrte Cosimo. »Denk daran, wie ehrgeizig die beiden sind, insbesondere Rinaldo! Der kann es nicht abwarten, in Florenz endlich das Sagen zu haben und uns Medici an die Wand zu drücken.«
»Verdammt, verdammt!«, fluchte Averardo und musterte Cosimo mit grimmiger Miene. »Recht hast du, was Rinaldo betrifft. Der könnte mit seinem dummen Kriegstreiben und dem Einfluss seiner Freunde wirklich für eine unangenehme Überraschung sorgen.«
»Die Albizzi sind für jede böse Überraschung gut – und zwar immer! Die müssen wir Medici zehnmal mehr fürchten als die Strozzi oder den alten Niccolò da Uzzano und seinen Clan. Nur anmerken lassen dürfen wir uns das nicht. Die Zeit ist noch nicht reif.«
»Jetzt bin ich noch unsicherer als vor unserem Gespräch«, murrte Averardo. »So war das nicht gedacht.«
»Du hast meine Meinung zur Monte hören wollen«, entgegnete Cosimo gleichmütig. »Welche Schlüsse du aus meinen Einschätzungen ziehst, ist deine Sache.«
Averardo schüttelte den Kopf. »Du bist ein schlauer Fuchs. Und vielleicht tue ich wirklich gut daran, diesmal deinem Rat zu folgen und das schmale Bündel Anleihen zu verkaufen, auf dem ich sitze, statt mich mit womöglich überteuerten Zukäufen einzudecken.«
»Das dürfte vernünftig sein, werter Cousin«, pflichtete Cosimo ihm bei und fügte spöttisch hinzu: »Es sei denn, du weißt einen Weg, wie man Rinaldo davon abhalten kann, mit seiner Stimmungsmache gegen Lucca die Signoria und das Volk aufzuwiegeln.«
»Ha, und ob ich den wüsste!«, kam es sofort grimmig von Averardo. »Ein guter Bravo, der seinen Dolch zu führen weiß, oder eine von seinen Bediensteten, die ihm eine hübsche Prise Gift ins Essen mischt, würde sich schon finden lassen, verlass dich drauf!«
Cosimos Miene verdunkelte sich. »Das vergisst du besser gleich wieder! Eine Vendetta mit den Albizzi ist das Letzte, was wir gebrauchen können.« Er hatte das ganz beiläufig gesagt, doch Averardo wusste genau, wie er Cosimos Worte einzuschätzen hatte. Es war der indirekte Befehl des Mannes, der seit einigen Jahren das unbestrittene Oberhaupt des gesamten Medici-Clans war.
»War ja nur so ein Gedanke. Aber verlockend wäre es schon, dem Kerl für immer das Maul zu stopfen«, brummte Averardo und wandte sich zur Tür. »Und meine Monte-Papiere werde ich besser abstoßen und warten, was aus der Sache mit Rinaldo und Lucca wird!«
Cosimo sah ihm sorgenvoll hinterher. »Bestimmt nichts, was uns Medici gefallen wird«, sagte er leise zu sich selbst und seufzte tief, ehe er sich wieder seinen Papieren zuwandte.
2
T essa und Gemma verließen zusammen mit den letzten Besuchern der Morgenmesse die Kirche Santa Maria Novella, hatten sie doch noch vor der Muttergottes eine Kerze angesteckt und ein stilles Gebet für ihre verstorbenen Lieben gesprochen. Fiametta und ihre Mutter lagen wie üblich noch in ihren weichen Betten. An Wochentagen zogen sie es aus Gründen der Bequemlichkeit zumeist vor, die Abendmesse zu besuchen, zumal diese auch kürzer war.
Vor den beiden Frauen ging ein junger Mann in abgerissener Kleidung und mit klobigen Holzschuhen an den schmutzigen Füßen. Man sah ihm auf den ersten Blick an, dass er ein armer contadino war, einer, der dem einfachen Landvolk angehörte.
In der Tür zur Vorhalle kam Tessa und Gemma eine höchst auffällig herausgeputzte Frau mit stark gebleichten blonden Haaren entgegen. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet und trug über ihrem langen Rock aus fließender himmelblauer Seide einen burgunderroten Samtumhang, dessen Kragen mit Pelz besetzt war. Sie konnte ebenso gut eine Dame aus vornehmem Haus wie eine Edelkurtisane sein.
Als der Contadino nicht sofort zur Seite trat, um ihr den Weg durch die Tür freizugeben, funkelte sie ihn an und fragte spitz, ob denn die Messe der Bauernlümmel wohl zu Ende
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