Hüter der Macht
schickt mich zu Euch, Signore Vieri di Armando. Ich soll Euch das hier aushändigen.« Sandro reichte ihm das Schreiben, das Cosimo de’ Medici für ihn aufgesetzt hatte.
Der Oberfaktor erbrach das Siegel. Während er das Schreiben überflog, legte sich seine Stirn in Falten.
»Sieh an, Cosimo de’ Medici schickt mir höchstpersönlich einen neuen Lehrjungen! Das ist ja etwas ganz Neues, kümmert er sich doch sonst nur um die Einstellung seiner Oberfaktoren«, sagte er spöttisch und verzog dabei das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Und du sollst auch gleich mit dem stolzen Jahreslohn von fünfzehn Florin bei mir anfangen? Und das bei freier Kost und Logis? Das nenne ich fürwahr eine Überraschung, aber keine, die mir sonderlich schmeckt!«
»Davon weiß ich nichts, Signore Vieri«, sagte Sandro, der sich bemühte, seine Freude zu verbergen. Cosimo hatte ihm keine Einzelheiten über seine neue Anstellung verraten. Aber fünfzehn Florin! Mit einem so hohen Lehrlingslohn hatte er wahrlich nicht gerechnet.
»Da musst du ja mächtig Eindruck auf ihn gemacht haben. Was hast du denn so Außergewöhnliches geleistet, dass er sogar höchstpersönlich ein solches Anstellungsschreiben aufsetzt und sich, was deine Entlohnung angeht, so unvernünftig großzügig zeigt?« Vieri di Armando wedelte mit dem Schreiben. Sandro bemerkte, dass der Mann einen breiten Goldring trug, in dessen Fassung ein tiefschwarz glänzender rautenförmiger Stein eingelassen war. »Hast du ihm vielleicht den Steigbügel gehalten und ihm auf sein Maultier geholfen, das er seltsamerweise jedem guten Reitpferd vorzieht?«, fragte er mit beißendem Spott.
Sandro hielt es für klüger, nicht zu antworten, zumal es Vieri di Armando nichts anging, womit er sich die Anstellung verdient hatte. Cosimos Schreiben war ein Befehl, dem er zu folgen hatte, ob es ihm nun passte oder nicht.
»Es war mein ausdrücklicher Wunsch, bei Euch das Handwerk der Tuchherstellung zu erlernen, Signore Vieri. Ihr sollt einer der besten Oberfaktoren der Stadt sein«, sagte Sandro, obwohl es ihm nicht gefiel, dem Mann zu schmeicheln. Aber Vieri di Armando sah so aus, als gehörte er zu den Menschen, die man auf diese Weise für sich gewinnen konnte.
Die verdrossene Miene des Mannes hellte sich schlagartig auf. »So, sagt man das? Nun ja, es wird wohl so sein … Jedenfalls macht mir keiner so leicht etwas vor. Das Tuch, das aus meiner Bottega kommt, ist zweifellos das beste der ganzen Stadt!« Mit selbstzufriedener Miene faltete er das Schreiben zusammen und steckte es in die Tasche. »Also gut, dann werde ich dich mal unter meine Fittiche nehmen, Sandro Fontana. Aber glaub ja nicht, dass du dich für etwas Besseres halten kannst, nur weil Cosimo de’ Medici persönlich dich geschickt hat! Wenn du deine Arbeit nicht so machst, wie ich es haben will, dann setze ich dich schneller vor die Tür, als du das Ave Maria beten kannst. Hast du mich verstanden?«
Sandro nickte. »Ich werde hart arbeiten und alles tun, damit Ihr zufrieden seid mit mir«, versprach er.
»Das will ich dir auch geraten haben! Denn unter meinem Dach dulde ich weder Faulpelze noch Gehilfen, die zwei linke Hände haben«, entgegnete Vieri harsch. »Und wenn du mich fortan anredest, sagst du Meister Vieri zu mir!« Dann wandte er sich um und rief durch die offene Tür: »Tommaso! Komm mal her!«
Sogleich tauchte ein hochgeschossener, schlaksiger junger Mann im Türrahmen auf. In seinem schmalen Gesicht, das zum Kinn eigenartig spitz zulief, saßen zwei ungewöhnlich große, müde dreinblickende Augen.
»Ganz zu Euren Diensten, Meister Vieri!« Dienstbeflissen trat er zu ihnen.
»Wir haben einen neuen Lehrjungen. Sein Name ist Sandro Fontana. Du wirst ihn in alles einweisen und die Kammer mit ihm teilen«, wies Vieri ihn an. »Und sieh zu, dass er sich rasch einfindet und nicht nutzlos in der Gegend herumsteht!«
»Keine Sorge, Meister Vieri, ich bringe ihn im Handumdrehen auf Trab«, versicherte Tommaso. Dabei zwinkerte er Sandro heimlich zu.
Kaum war Vieri di Armando in den angrenzenden Raum zurückgegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen, streckte Tommaso ihm die Hand entgegen. »Willkommen unter dem Joch von Meister Vieri! Aber nur Mut, Sandro Fontana! Meine Wenigkeit, der in fünf endlos langen Dienstjahren gestählte, leidgeprüfte und mit allen Wassern der Tuchherstellung gewaschene Tommaso Mortelli, wird dir schon beibringen, wie man dem Jähzorn unseres Herrn und
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