Hüter der Macht
zu schade.«
»Da tust du Giulia und ihren Mädchen aber unrecht!«, erwiderte Tommaso entrüstet. »Die gibt höllisch acht, wen sie für sich arbeiten lässt. Die sind alle sauber. Da musst du keine Angst vor der Französischen Krankheit haben. Die verstehen ihr Geschäft!«
»Mag ja sein. Trotzdem kriegst du mich auch heute nicht in ihre Bordellschenke«, beharrte Sandro.
Ein spöttischer Ausdruck trat auf Tommasos Gesicht. »Kann es sein, dass du einfach nur Angst hast, mit einer von Giulias hübschen Dingern oben in einer Kammer zu verschwinden, weil du noch nie die Freuden eines Frauenschoßes genossen hast?« Er sah Sandro herausfordernd an. »Raus mit der Sprache! Du bist noch Jungfrau, nicht wahr? Klar, das ist es! Mir kannst du es doch sagen, ich verrate es niemandem!«
»Du irrst dich. Ich habe einfach nur keinen Spaß daran, mir für ein paar Piccioli ein bisschen Leidenschaft vorgaukeln zu lassen«, erwiderte Sandro gelassen. Er verstand sich zwar gut mit Tommaso, aber nie und nimmer würde er ihm von jener älteren und sehr erfahrenen Hausgehilfin des Waldhüters erzählen, in deren Kammer er seine Unschuld verloren hatte. »Außerdem kann ein Mann nicht Jungfrau sein. Das ist so unmöglich wie ein schwarzer Schimmel.«
Tommaso machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du weißt genau, wie ich das meine.«
»Und ich habe dir gesagt, dass du dich irrst, Tommaso. Und damit lass es gut sein. Dafür bin ich nicht zu haben, gestern nicht, heute nicht und morgen auch nicht!«, erwiderte Sandro mit Nachdruck.
»Manchmal kannst du ein richtiger Spielverderber sein«, maulte Tommaso, fing jedoch nicht wieder davon an.
Tommaso kannte seinen Freund und wusste, wann Sandro nicht weiterdiskutieren wollte. Dann bekam dessen Stimme einen harten, einschüchternden Klang, in dem die unausgesprochene Warnung mitschwang, die Sache besser auf sich beruhen zu lassen.
Und Sandro hatte viel dafür getan, dass er auch ernst genommen wurde.
Gleich in den ersten Tagen, nachdem er in der Bottega zu arbeiten begonnen hatte, hatten ein Wollkämmer, ein grober Kerl namens Pigello, und Lodovico, ein ebenso streitlustiger älterer Geselle, versucht, ihm das Leben schwer zu machen. Das war ihnen jedoch schlecht bekommen.
Sandro hatte beide mit ruhiger Stimme aufgefordert, ihn seine Arbeit machen zu lassen und ihm nicht immer in die Quere zu kommen. Doch das hatte nichts gefruchtet. Bei der nächsten Gemeinheit der beiden hatte er sich nicht mehr mit Worten begnügt, sondern dem großmäuligen Pigello blitzschnell ein Messer an den Hals gedrückt und ihm einige Worte ins Ohr geflüstert, die nur sie beide verstehen konnten. Der Mann war wachsbleich im Gesicht geworden und hatte ihn von da an in Ruhe gelassen.
Lodovico war nicht so glimpflich davongekommen. Sandro hatte ihn vor allen anderen Arbeitern zu einem Faustkampf herausgefordert. Vieri di Armando hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt und sogleich mit seinem Bruder Giuliano, der die Bücher führte, um einen Florin gewettet, dass ihr Neuer von Lodovico die Abreibung seines Lebens bekommen würde.
Doch wie sehr hatte er sich in Sandro getäuscht! Denn was ihm im Vergleich zu Lodovico an Kraft fehlte, hatte er durch Wachsamkeit, Schnelligkeit und vor allem durch genau gesetzte Schläge mehr als wettgemacht. Am Schluss hatte Lodovico halb bewusstlos und mit einer gebrochenen und blutenden Nase am Boden gelegen. Seitdem musste er nur noch Vieris Grobheiten und schlechte Laune fürchten.
»Was trödelst du denn so?«, schimpfe Tommaso und blieb stehen, um auf Sandro zu warten. Sie hatten den Ponte Vecchio erreicht. Die Brücke, die älteste der vier innerhalb der Stadt, überspannte mit ihren drei flach geschwungenen Steinbögen den Arno an seiner schmalsten Stelle. Auf beiden Seiten war er mit hölzernen Verkaufsbuden bebaut. Nur hier und da klaffte eine Lücke zwischen den Läden und ließ einen Blick auf den Fluss zu.
Direkt hinter der Brücke lag ihr Ziel, das Viertel von Santo Spirito. Es gehörte zu den ärmeren Gegenden der Stadt. Dort gab es keine Prachtbauten wie im Zentrum, vielmehr waren die engen Gassen gesäumt von heruntergekommenen Behausungen, in denen Enge und Not herrschten.
»Wir treffen uns an der Kapelle von Santa Maria del Carmine, wie immer«, sagte Sandro zu Tommaso, dann trennten sie sich.
Den wöchentlichen Mietzins bei Webern einzutreiben, die bei Vieri im Lohn standen, war eine Aufgabe, die Sandro nur ungern übernahm. Lieber erledigte er in
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