Hüter der Macht
zärtlich seiner Geliebten zuwandte, konnte er nicht ahnen, dass nicht die Intrigen der Medici-Feinde die Stadt in wilde Aufruhr versetzen würden, sondern der Ruf »La moria! – Der Schwarze Tod!«. Ein Name wie ein entsetzlicher Gottesfluch, der jeden bis ins Mark erschaudern ließ.
Die Pest!
9
S andro schwitzte. Sein nasses Gewand klebte ihm am Leib und seine Kehle fühlte sich so ausgedörrt an, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu trinken bekommen. Wie eine unsichtbare Glocke, die Florenz unter sich ersticken wollte, lag die lähmende Augusthitze über der Stadt. Die Luft war zum Schneiden dick und flirrte über den großen, offenen Plätzen.
»Lass es gut sein, Tommaso«, brummte Sandro und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hielt sich mit seinem Freund im Schatten der überkragenden Obergeschosse, als sie auf ihrem Rückweg zur Bottega hinter dem Domplatz der Straße in Richtung des Gefängnisses folgten. Sie hätten gleich beim ersten Tageslicht zu ihrer Runde bei den Webern aufbrechen sollen und nicht erst kurz vor Mittag. Aber nein, Meister Vieri hatte nichts davon wissen wollen und sie die ersten Morgenstunden mit Aufgaben beschäftigt, die sie sehr gut auch später hätten erledigen können. »Für deine schlüpfrigen Pacino-Geschichten bin ich heute nicht in Stimmung. Lieber würde ich Vieri den Hals umdrehen! Denn das hat der Mistkerl mit Absicht getan!«
»Worauf du Gift nehmen kannst! Und auch ich wüsste nichts, was ich lieber täte, als Vieri die Prügel seines Lebens zu verpassen!«, pflichtete Tommaso ihm grimmig bei, ohne sich davon ablenken zu lassen, was er unbedingt von seinem letzten Besuch in der Bordellschenke erzählen wollte. »Aber diese Geschichte musst du dir anhören! Denn so, wie Giulia mit dem dreisten Tuchfärber umgesprungen ist, würde ich es liebend gern auch mit unserem Meister machen.«
Sandro seufzte. Er wusste, dass sein Freund keine Ruhe geben würde, solange er seine Geschichte nicht losgeworden war. »Also gut, dann erzähl«, forderte er ihn auf, während sie sich im Schatten der Häuser dem Palast des Podestà mit dem angeschlossenen Kerkerbau näherten.
Tommaso grinste über das schweißtriefende Gesicht. »Du hättest dabei sein sollen, Sandro! Es war urkomisch. Ich wollte mit Catalina gerade nach oben gehen, als dieser bullige Kerl, der sich schon etliche Becher Wein genehmigt hatte, plötzlich mit seinen Pranken nach meiner Kleinen grapschte!«
»Was dir natürlich nicht gefallen hat.«
»Klar, und Catalina auch nicht, aber Giulia noch viel weniger, denn so etwas duldet sie nicht. Sie hat den Färber verwarnt und ihm gesagt, dass Catalina schon vergeben ist. Aber der Bursche hat sich nicht darum gekümmert. Und das ist ihm dann schlecht bekommen.« Tommaso lachte. »Denn ehe er sichs versah, kam Giulia hinter der Theke hervor – mit ihrem Prügel in der Hand. Der ist am oberen Ende mit dicken Eisennägeln beschlagen. Und den hat sie ihm dann über den Schädel gezogen! Der Färber ist wie vom Blitz getroffen zu Boden gegangen. Ich wette, der hat noch lange Freude gehabt an seinen üblen Kopfschmerzen …«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick schrie irgendwo weiter unten auf der Straße eine schrille, sich überschlagende Stimme: »La moria! Die Pest ist zurückgekommen! Der Schwarze Tod ist wieder in der Stadt!«
Der gellende Schrei ließ alle, die ihn hörten, entsetzt zusammenfahren. Jeder wusste, was es bedeutete, wenn die fürchterliche Geißel der Pest zuschlug. Die schreckliche Seuche, die innerhalb weniger Tage töten konnte, hatte seit der ersten großen Welle Mitte des vergangenen Jahrhunderts überall in Europa ganze Landstriche entvölkert und in den Städten oftmals gut die Hälfte ihrer Bewohner dahingerafft. Im Sommer 1348 waren allein in Florenz über dreißigtausend Menschen wie die Fliegen gestorben und seitdem war die Pest im Schnitt alle zehn Jahre nach Italien zurückgekehrt.
»Oh mein Gott!«, würgte Tommaso mit erstickter Stimme hervor, plötzlich kalkweiß im Gesicht. »Jesus, Maria und Josef, bewahrt uns vor dem Schwarzen Tod!«
Um sie herum fingen die Menschen an zu rennen, während die Pestschreie von anderen aufgenommen und voller Todesangst weitergetragen wurden.
Sandro bekam trotz der Hitze eine Gänsehaut. Er schluckte krampfhaft. Jetzt nur nicht den Kopf verlieren! »Wir müssen uns in Sicherheit bringen! Noch ist Zeit, dass wir nicht von der Seuche angesteckt werden!«, stieß er hervor.
Gegen
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