Hüter der Macht
dessen Hellebarde aufnehmen, von deren Spitze das Blut tropfte.
Sandro warf einen Blick aus dem Fenster und sah, wie Lodovico sich wimmernd die verletzte Schulter hielt und davontaumelte, gefolgt vom Rest der Meute. Augenblicke später war der Platz leer.
Sandro konnte kaum glauben, dass sie gerettet waren. Ihm war, als hätte er einen albtraumhaften Spuk erlebt. Als er sicher sein konnte, dass die Plünderer nicht doch noch einmal zurückkommen und einen Angriff wagen würden, legte er die Hellebarde aus der Hand und beugte sich zu Tommaso hinunter.
Sein Freund rührte sich nicht. Wie tot lag er da. Aus den Wunden am Kopf floss immer noch Blut.
»Tommaso!« Verzweifelt rüttelte Sandro ihn an den Schultern. Dann eilte er zur Wassertonne, schöpfte eine Kelle voll und schüttete Tommaso Wasser ins Gesicht.
War das eine Regung? Tatsächlich! Stöhnend schlug sein Freund die Augen auf und blinzelte. »Was … Was … ist geschehen?«, stieß er benommen hervor.
Sandro grinste ihn erleichtert an. »Zwei Steine haben dich ganz übel am Kopf getroffen und ins Land der Träume geschickt. Aber bleib nur liegen, es ist alles in Ordnung. Die Gefahr ist gebannt. Ich habe die Bande rechtzeitig daran hindern können, durch das Fenster zu steigen.« Er strich sich die verklebten Locken aus der Stirn. »Lodovico hat es böse an der Schulter erwischt. Der wird noch lange an uns denken.«
Tommaso sah ihn ungläubig an. »Und das hast du ganz allein fertiggebracht?«
Sandro winkte ab. »Ich hatte gar keine Zeit, lange zu überlegen. Und dann haben die anderen Angst bekommen und sind verschwunden. So, und jetzt hole ich von oben ein paar Tücher und verbinde erst einmal deine Wunden. Na ja, es sieht wohl schlimmer aus, als es ist.«
Vier entsetzlich lange Tage und Nächte harrten Sandro und Tommaso bei Wasser und Brot aus, immer gequält von der Angst, ob sie sich auf ihrem Gang durch die Stadt womöglich schon angesteckt hatten, ob sie bald Fieber, starke Gliederschmerzen und schließlich die schwarzen Eiterbeulen bekommen würden, auf die unweigerlich der Tod folgte.
In dieser Zeit qualvoller Ungewissheit wanderten Sandros Gedanken manches Mal zu dem Sklavenmädchen Tessa und er fragte sich voller Bangen, wie es wohl ihr und ihrer Herrschaft ergehen mochte. Er betete inständig zu allen Heiligen, dass der Schwarze Tod das Haus der Familie Panella verschonen möge. Denn obwohl er Tessa noch kaum richtig kannte – bisher hatte er sie nur einige Male nach dem Sonntagsgottesdienst sprechen können, und das nur in Begleitung der alten Zofe –, konnte er das hübsche Tscherkessenmädchen mit dem rabenschwarzen Haar und dem bernsteinfarbenen Glitzern in den dunklen Augen nicht mehr aus seinem Kopf bekommen. Bestimmt würde alles gut werden, wenn er sie nur wiedersehen dürfte.
Und dann, am fünften Tag, hatte das Warten endlich ein Ende. Herolde gingen durch die Stadt und verkündeten, dass es keine Pest in der Stadt gebe und dass alle Bewohner aus den Häusern kommen und ihr normales Leben wieder aufnehmen könnten.
Auch später wurde nie geklärt, wer für den falschen Pestalarm gesorgt hatte. Es hieß, jemand habe bei einem durchreisenden Händler hässliche Beulen am Hals bemerkt, andere waren überzeugt davon, dass Spione aus Lucca das Gerücht von der Pest in die Welt gesetzt hätten.
Sandro dachte nicht weiter darüber nach. Er dankte Gott, dass er und Tommaso noch am Leben waren. Denn viel hätte nicht gefehlt und sie hätten es unter den Messern und Prügeln der Plündererbande verloren.
Meister Vieri allerdings hatte kein Wort des Dankes für sie übrig, als er sich wieder bei ihnen in der Bottega zeigte.
»Seht zu, dass ihr schnellstens die Schlagläden und die Scharniere repariert!«, befahl er ihnen barsch. »Ihr habt lange genug auf der faulen Haut gelegen! Eigentlich sollte ich euch die Tage vom Lohn abziehen!«
Sandro und Tommaso tauschten einen vielsagenden Blick und machten sich an die Arbeit.
Als Sandro drei Tage später endlich zur Messe in die Kirche Santa Maria Novella eilen konnte und Tessas schlanke Gestalt in den Reihen der Dienstboten erblickte, da vergaß er seinen Groll über Vieri und dankte Gott inbrünstig, dass der seine Gebete erhört hatte.
11
D ie Sommerhitze wollte nicht weichen. Mehrere Wochen waren vergangen, seit die Herolde Entwarnung gegeben hatten, und in der Bottega ging alles wieder seinen gewohnten Gang.
Meister Vieri hatte Sandro in den Speicher geschickt. Dort musste
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