Hüter der Macht
er die schweren Tuchballen, die soeben angeliefert worden waren, von der Plattform in den Lagerraum tragen. Es waren raue Wollstoffe von grauer Farbe, die für die Medici auf den Messen in der Champagne gekauft und nach Florenz geschickt worden waren. Hier würden sie gefärbt und veredelt werden. Mit dem Siegel der Florentiner Gilde versehen, würden sie danach als preisgünstige panni franceschi auf die Märkte in ganz Europa gelangen, wo diese französischen Tuche reißenden Absatz fanden.
Sandro hievte gerade den letzten dieser Ballen auf seine Schulter, als er von unten aus der Werkstatt den Vorarbeiter der Wollkämmer rufen hörte: »Ser Cosimo wird gleich hier sein, Meister Vieri!«
Schnell warf Sandro den Ballen zu den anderen und lief zur Treppe, um nach unten zu spähen und zu hören, was Cosimo de’ Medici zu ihnen führte. Es war das erste Mal, seit er in dieser Tuchmanufaktur arbeitete, dass Ser Cosimo höchstpersönlich zu ihnen kam.
Riccardo Massero, der Lagerverwalter und Faktor, der ebenso wie Sandro im Speicher war, um die angelieferten Ballen mit nummerierten Etiketten zu versehen und sie in seinem Buch einzutragen, schaute verwundert auf.
»Ser Cosimo?« Er ließ sein Schreibbrett sinken und gesellte sich zu Sandro an die breite Treppenöffnung. »Den habe ich in meinen sieben Jahren hier noch nie zu Gesicht bekommen. Was mag er nur wollen? Hoffentlich bringt er keine schlechten Nachrichten.«
Plötzlich drang die barsche Stimme von Meister Vieri durch die Räume. »Alle mal herhören! Ser Cosimo möchte, dass wir uns hier unten in der Vorhalle versammeln. Unser Patron hat uns etwas mitzuteilen. Also bewegt euch! Ser Cosimos Zeit ist kostbar!«
»Seltsam«, murmelte Riccardo Massero und stieg die Treppe hinunter. »Was mag er nur wollen?« Sandro folgte ihm.
Im Durchgang zur Werkstatt drängten sich die Wollkämmer. Auf ihren Mienen lag Besorgnis. Die dürre Gestalt des Buchhalters Giuliano lehnte halb verborgen hinter zwei Gesellen am Türrahmen des Kontors, als fürchtete er, ohne diesen Halt nicht aufrecht stehen zu können. Seine blutunterlaufenen Augen und die fast schwarzen Tränensäcke darunter ließen vermuten, dass seine einzige Mahlzeit am Morgen aus der Flasche gekommen war.
Sandro gesellte sich zu Tommaso, der am Fuß der Treppe stand. Er warf seinem Freund einen fragenden Blick zu, worauf dieser mit einem Achselzucken antwortete. Er wusste offenbar auch nicht, was es mit Ser Cosimos Besuch auf sich hatte.
Und dann war er auch schon da. Cosimo de’ Medici betrat den Vorraum. Sandros Blick hing an dem mächtigen Mann. Wie immer trug er seinen unauffälligen Lucco und auch sonst verriet nichts, welchen Reichtum und welches Ansehen er verkörperte. Lediglich das Funkeln in seinen Augen und ein entschlossener Zug um seinen Mund zeugten von seinem unbeugsamen Willen und seinem brillanten Verstand.
Er nickte Vieri di Armando zu, der sich daraufhin tief verbeugte. Wie die anderen Männer neigte auch Sandro kurz den Kopf.
Cosimo sah in die Runde, er schien jeden einzelnen Arbeiter zu mustern. Sandro zuckte unwillkürlich zusammen, als der Blick ihn streifte. Er hatte Cosimo seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen und er hatte das unbestimmte Gefühl, wie damals vor ihm zu stehen und darauf zu warten, welchen Schicksalsweg dieser mächtige Mann für ihn bestimmte.
»Mir ist zu Ohren gekommen«, begann Cosimo nach einer wohlüberlegten Pause, »dass es hier am Tag des falschen Pestalarms zu einem sehr unerfreulichen Zwischenfall gekommen ist, Meister Vieri.« Er blickte den Oberfaktor an. »Erzählt mir, was vorgefallen ist. Bestand Anlass zu großer Sorge?«
»In der Tat, Ser Cosimo! Es bestand allerhöchste Gefahr für Euer Gut!«, entgegnete Vieri unterwürfig. »Eine gottlose Plündererbande hatte es auf Eure Bottega abgesehen, wohl in dem Glauben, hier leichte Beute machen zu können.«
»Aber diese Gefahr habt Ihr abwenden können, richtig?«
Meister Vieri nickte. »Aber ja doch, Ser Cosimo! Dieses Gesindel hat es nicht geschafft, in Eure Bottega einzudringen und etwas zu stehlen. Sie abzuwehren ist wahrlich nicht leicht gewesen! Es war eine mit Messern und Knüppeln bewaffnete Bande von mehr als einem Dutzend Männern! Aber wir haben sie in die Flucht geschlagen!«
Sandro tauschte mit Tommaso einen empörten Blick, als sie hörten, wie Vieri mit ihren Taten prahlte und sie als die seinen ausgab. Sandro bemerkte, dass sein Freund vor lauter Wut die Fäuste ballte. Sollten
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