Hüter der Macht
bösartigen, rachsüchtigen Blick, als die Büttel ihn abführten. »Ich werde dafür sorgen, dass du am Galgen endest!« Er spie Sandro die Worte ins Gesicht. »Aber so schnell wirst du dein Leben nicht aushauchen! Erst wird Vicenzo Moravi sich deiner annehmen und der versteht sein grausames Handwerk!«
12
S andro Fontana riss die Augen auf. Er durfte jetzt nicht einschlafen! Aber er war so müde. Nicht weil er kraftlos war, sondern weil er sich fürchtete. Er war müde vor Angst. Wieder fielen ihm die Augen zu und sofort waren sie da, die schrecklichen Bilder … Er lag auf einer Streckbank, seine Arme und Beine waren zum Zerreißen gespannt, ein höllischer Schmerz raubte ihm die Sinne. Wie durch einen Nebel sah er, dass Lionetto Vasetti sich über ihn beugte. Ein zahnloser Mund öffnete sich zu einem Grinsen und Speichel tropfte auf Sandros Gesicht …
Ein gellender Schrei drang durch die dunklen Verliese des Gefängnisses. Sandro riss die Augen auf. Was war das für ein Schrei? Hatte er selbst geschrien?
Der schwache Lichtschein einer Ölleuchte auf dem Gang drang durch das kleine Zellengitter und warf ein düsteres Flackern auf die mit Schimmel bedeckten Steinwände. Sandro kauerte neben der Tür. Er zitterte am ganzen Körper. Der durchdringende Gestank nach Moder, Urin und verrottetem Stroh nahm ihm beinahe den Atem.
Warum hatte er es nur so weit kommen lassen? Er hätte doch wissen müssen, dass Lionetto Vasetti sich rächen würde und ihn dem Foltermeister Vicenzo Moravi übergeben würde! Wie hatte er nur so dumm sein können zu glauben, er könne es mit diesem einflussreichen Mann aufnehmen? Warum hatte er nicht einfach klein beigegeben und darüber nachgedacht, ob es nicht doch noch eine andere Möglichkeit gab, Tessa zu retten?
Tessa … Er würde sie niemals wiedersehen. Dafür würde Vasetti sorgen. Tränen traten ihm in die Augen und rannen über seine Wangen.
Wie lange mochte er schon hier in diesem dunklen Verlies sein? Einen Tag? Zwei Tage? Er horchte in die Dunkelheit hinein. Nichts. Alles blieb still. Als wäre er der einzige Mensch auf der Welt. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und wieder fielen ihm die Augen zu. Und abermals kamen die schrecklichen Bilder. Doch er hatte nicht mehr die Kraft, die Augen zu öffnen.
Plötzlich schreckte er hoch. Was war das? Ein Eisengitter quietschte, dann wurden Stimmen laut. Eine erkannte er sofort wieder: die von Lionetto Vasetti!
Sie kamen, um ihn zu holen! Todesangst packte ihn wie ein Raubtier, das ihn ansprang und ihm unbarmherzig die Krallen in die Brust schlug. Er kroch in die hinterste Ecke des Kerkers und drückte sich gegen die Wand.
Das flackernde Licht wurde immer heller. Ein Schlüsselbund rasselte, ein Schlüssel drehte sich im Schloss, dann öffnete sich die Tür. Mehrere Männer traten in Sandros Verlies, an der Spitze der Kerkermeister Vicenzo Moravi, ein großer, bulliger Mann mit einem narbenübersäten Gesicht und prankenartigen Händen. An seiner Lederschürze klebte getrocknetes Blut.
»Los, hoch mit dir!«
Sandro konnte sich nicht rühren.
Hinter dem Kerkermeister trat ein Mann hervor. Lionetto Vasetti.
»Ich hoffe, wir haben dich nicht zu lange warten lassen«, sagte er und lächelte kalt. »Ich bin sicher, du bist schon neugierig, wie es sein wird, wenn Meister Vicenzo sich deiner annimmt und dir zeigt, wie gut er sein Handwerk versteht.« Er trat näher und hielt Sandro seine Fackel vors Gesicht. »Was sehe ich? Hast du etwa Angst? Wo ist denn dein Mut geblieben, Sandro Fontana?«
Zwei Büttel traten vor und griffen Sandro an den Armen. Zuerst wehrte er sich noch, zerrte und trat mit den Füßen nach den Männern, doch dann gab er auf.
Für einen Moment schloss er die Augen, um innere Kraft zu schöpfen. Lionetto täuschte sich gewaltig in ihm. Auch wenn die Angst die Krallen nach ihm ausgefahren hatte, so half ihm ausgerechnet die Wut auf diesen Schurken, seinen Mut wiederzufinden. Er würde es ihm zeigen, dass man Sandro Fontana mit keiner Folter der Welt brechen konnte. Das war er Tessa schuldig!
Vasetti wandte sich dem Kerkermeister zu. »Lasst ihn in die Folterkammer schaffen, Meister Vicenzo, damit wir mit der Arbeit beginnen können.«
Doch in dem Moment meldete sich auf dem Gang eine heiser kratzige Stimme, die Sandro sofort erkannte. »Daraus wird wohl nichts, meine Herren! Diese Arbeit, der Ihr Euch zweifellos nur sehr widerwillig und allein aus ehrenwertem Pflichtgefühl unterziehen wolltet, weiß ich
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