Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
Blick zu.
„Ihr solltet versuchen, eure Mutter zu verstehen“, sagte er. Die Mädchen schwiegen, doch sie waren offensichtlich anderer Meinung.
„Finns Vater hat mir geschrieben“, sagte Ilja nach einer Weile. Juno runzelte die Stirn.
„Schon wieder? Das hast du noch gar nicht erzählt.“
„Ich wollte dich nicht aufregen“, erklärte Ilja. „Er gibt mir die Schuld am Verschwinden seines Sohnes. Meinte, wenn wir ihn nicht bei den Wächtern aufgenommen hätten, wäre er niemals so leichtsinnig gewesen und dem Geist in die Katakomben gefolgt…“
„Das hat doch damit nichts zu tun“, sagte Juno verärgert.
„… und wir würden uns bei der Suche nach ihm nicht richtig anstrengen, sonst hätten wir Finn längst gefunden, oder wenigstens eine Spur. Und dann hätten wir auch den Geist schon längst unschädlich gemacht. Zum Schluss hat er noch geschrieben, vielleicht wäre ich der falsche Mann für den Posten des Hauptmanns“, beendete Ilja seinen Bericht. Juno sah aus, als hätte sie am liebsten einige unschöne Wörter gebraucht.
„ Ihr sollt den Geist unschädlich machen? Wie wär’s, wenn sich diese eingebildeten Parlamentarier mal anstrengen würden und endlich herausfinden, wer er eigentlich ist? Dann könnt ihr auch eure Arbeit tun.“
Beruhigend legte Ilja ihr den Arm um die Schultern.
„Bitte, Juno, reg dich nicht auf. Keiner nimmt diese Vorwürfe ernst, auch kein anderer Parlamentarier. Das hat Sophia mir versichert. Mein Posten steht nicht zur Diskussion.“
„Das will ich ihnen auch geraten haben“, murmelte Juno nur halbwegs besänftigt. Ilja lächelte. Dann warf er einen Blick aus dem Fenster. Es dämmerte bereits.
„Ich bringe euch nach Hause“, sagte er zu seinen Besuchern. „Ist mir wohler, als wenn ihr jetzt allein unterwegs seid.“
Emily war froh um das Angebot, und auch Emma und Miki nickten erleichtert. Sobald es dunkel wurde, fühlten sie sich in Arcanastra nicht mehr sicher.
Als Emily kurz darauf in ihrem Dachzimmer saß, mit einer schnurrenden Amethyst neben sich, überkam sie auf einmal schreckliches Heimweh. Sie vermisste ihre Eltern so sehr, dass es ihr den Hals zuschnürte. Einen Moment lang wünschte sie sich nur, sie könnte jetzt bei ihnen sein. Ihr Vater würde ihr eine heiße Schokolade kochen, und ihre Mutter würde begeistert von irgendwelchen Ausgrabungen erzählen und nebenbei an ihren geliebten Pflanzen herum schnippeln. Amethyst würde Mäuse jagen und wäre eine ganz normale Katze, Emily wüsste nichts von Finns Verschwinden, weil sie Finn gar nicht kennen würde, und sie hätte auch weder von Arcanastra noch von seltsamen Büchern noch vom Geist jemals gehört, hätte keine Alpträume wegen der Orakelmechanik und keine Angst vor Irrlichtern und erst recht keine Katze, deren mürrische Gedanken sie auch noch ertragen musste.
Aber dann fielen ihr all die Dinge ein, die sie an Arcanastra mochte: Ihre außergewöhnliche Großtante, ihre Freunde, Sternenfänger, Mr. Peebles Panoptikum, die behaglichen Abende bei Ilja und Juno. Und schließlich streichelte sie Amethyst über den Rücken und war einfach nur froh, dass wenigstens ihre Katze bei ihr war.
Etwas allerdings war seltsam. Wenn Emily an ihre Eltern zurückdachte, an die Welt, in der sie aufgewachsen war… dann war die Erinnerung daran verschwommen und undeutlich, gerade so, als wäre Emily schon sehr lange nicht mehr dort gewesen. Dabei war sie erst vor einigen Monaten nach Arcanastra gekommen.
Diese Erkenntnis fühlte sich an, als würde sich auf einmal eine eisige Faust um Emilys Herz schließen.
Sophia stand in der Küche und buk Kekse, als Emily später am Abend nach unten kam. Samantha C. watschelte ungestört auf dem Küchentisch herum und hinterließ ihre Spuren im Mehl. Amethyst saß auf einem Stuhl und hatte die Schnauze auf den Tisch gelegt. Mit gierigen Augen verfolgte sie die Ente. Ab und zu pustete sie Luft durch die Nase, dann wirbelte das Mehl auf wie feiner Schnee.
„Darf ich mal probieren?“, fragte Emily. Sie biss in einen Keks und unterdrückte ein Seufzen. Er schmeckte eindeutig nicht nach Zimt oder Schokolade, sondern nach Karotten.
„Das Rezept habe ich selbst erfunden“, meinte Sophia stolz.
Die einzige Antwort, die Emily darauf einfiel, war etwas unhöflich, also sagte sie lieber gar nichts. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich.
„Sie haben Finn noch immer nicht gefunden“, sagte sie traurig.
Sophia nickte. „Ilja hat es mir vorher erzählt, als
Weitere Kostenlose Bücher