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Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Titel: Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Richner
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hatte er bereits seit Jahren, doch er hatte nie etwas gesagt.
    Demetrio starrte ihn an. „Und warum hätte er das tun sollen?“
    Wieder zuckte Crispin die Schultern. Vielleicht hatten seine Eltern den Mann dafür bezahlt? Vielleicht schickten sie ihn immer wieder zu den Gauklern, damit er ihnen danach von Crispin berichten konnte, ihrem Sohn?
    In diesem Moment fasste Crispin einen Entschluss. Er würde dem Mann einfach folgen, wenn er wieder aufbrach. Das Nötigste, einige Kleidungsstücke und etwas zu essen, könnte er unauffällig einpacken. Ambra und Demetrio würden ihn zwar vermissen, aber Ignazio wäre wahrscheinlich erleichtert, dass das Problem sich von selbst gelöst hatte.
    Als Crispin wieder zum Wagen schaute, trafen sich seine Blicke und die des Mannes. Die grünen Augen musterten ihn eine Weile, dann winkte der Mann ihn zu sich.
    „Er will mit dir reden?“, fragte Demetrio verblüfft. Das war bisher noch nie geschehen. Crispin zögerte. Dann sprang er von der Eiche und ging zum Wagen. Seine Knie zitterten dabei ein wenig. Ambra und Ignazio schauten ihm entgegen, und Ambra legte ihm kurz die Hand auf die Schulter, bevor sie ihn mit dem Mann allein ließen.
    Nervös blieb Crispin stehen. Er setzte sich erst, als der Mann eine einladende Geste machte. So nahe war er ihm noch nie gewesen. Die grünen Augen wirkten jetzt noch stechender, und es ging eine unbestimmte Kälte von ihm aus. Am liebsten hätte Crispin sich in einen warmen Mantel gehüllt. Ihm war sehr unbehaglich zumute.
    „Crispin“, begann der Mann. Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. Crispin wartete darauf, dass er weitersprach. Unruhig drehte er den steinernen Anhänger in den Händen herum, den er zum Geburtstag bekommen hatte und den er immer um den Hals trug.
    „Bist du zufrieden mit deinem Leben?“, fragte der Mann. Crispin schluckte. Diese Frage hatte er nicht erwartet, und er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.
    „Ich… habe alles, was ich brauche“, sagte er endlich. Die grünen Augen schauten ihn durchdringend an.
    „Nun… nein“, gab Crispin zu. „Bin ich nicht.“
    Er fühlte sich schlecht, als er das sagte, denn er hatte das Gefühl, er würde Ambra und Demetrio damit verraten. Der Mann nickte.
    „Weil du nicht zu ihnen gehörst“, sagte er heiser. Crispin schaute ihn interessiert an. Dieser Mann schien ihn zu verstehen.
    „Du hast nicht das geringste Gauklerblut in dir“, fuhr er fort. „Immer bist du im Hintergrund, unsichtbar, während sie auf der Bühne stehen und von den Menschen ins Herz geschlossen werden. Siehst du die Bewunderung in den Augen der Zuschauer, wenn sie ihre Kunststücke aufführen? Sie werden sich noch wochenlang an die Gaukler erinnern. An den Jungen, der mit dem Hut herumging und um Geld bat, verschwenden sie keinen einzigen Gedanken. Du bist nichts.“
    Crispin biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, während der Mann sprach, doch er wusste, dass er recht hatte. Das war sein Leben. Ein Leben im ewigen Schatten.
    „Du könntest etwas dagegen tun“, sagte der Mann. Crispin hob den Kopf und starrte ihn an.
    „Was?“, rief er erregt.
    Der Mann musterte ihn, seine grünen Augen funkelten dabei.
    „Du hast eine Bestimmung zu erfüllen“, antwortete er. „Die Welt der Gaukler ist nicht deine – du gehörst an einen anderen Ort.“
    Crispin runzelte die Stirn.
    „Dorthin, wo meine Eltern sind?“, fragte er, doch der Mann schüttelte den Kopf.
    „Das habe ich nicht gemeint.“
    Crispin schwieg verwirrt. Er verstand überhaupt nichts.
    „Willst du nicht weg hier, weg von diesem Leben?“, fragte ihn der Mann. Crispin atmete tief ein. Wollte er das? Auf einmal war er sich nicht mehr sicher. Er betrachtete den steinernen Anhänger… Ambra und Demetrio mochten ihn, und sogar Ignazio war immer ziemlich nett zu ihm gewesen, auch wenn er ihn loswerden wollte. Crispin hatte sich an dieses Leben gewöhnt, und selbst wenn er damit nicht zufrieden war, wusste er wenigstens, was ihn am nächsten Tag erwartete. Wollte er das wirklich alles aufgeben für eine unbestimmte Zukunft?
    Dann hob er den Kopf.
    „Doch, das will ich“, sagte er mit fester Stimme. Er hatte sich entschieden. Sein Glück konnte nicht bei den Gauklern liegen, auch wenn sie ihn gut behandelten. Er wusste nie, wann Ignazio sich durchsetzen würde, und dann wäre er mutterseelenallein auf der Welt.
    Zufrieden nickte der Mann. Er zog ein Stück Papier, eine Feder und ein kleines Tintenfässchen aus der

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