Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
und da er sich Sorbacovs Kontrolle entzieht, ist er entbehrlich – wie auch ich es sein werde.«
Ihr Herz machte einen Satz, um zu protestieren. »Die Welt hält den russischen Agenten, der an Bord der gesunkenen Yacht war, für tot. Es ist nicht bekannt, dass Levi ebendieser Mann ist. Sorbacov muss wissen, dass du Thomas Vincent bist.«
»Nicht unbedingt. Bei verdeckten Ermittlungen verschwinde ich für längere Zeit aus dem Raster. Ich habe viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Thomas Vincent zu erschaffen. Dahinter steckte der Gedanke, ich könnte ihn benutzen, wenn ich verschwinde. In meinem Metier braucht man immer einen Ausweichplan, auf den man im Notfall zurückgreifen kann. Sorbacov weiß, dass ich in Sea Haven bin, aber sonst nichts. Ivanov wird sich nicht die Mühe machen, ihm Genaueres mitzuteilen.«
»Du bist mit dem Gedanken hergekommen zu verschwinden, wie Levi es getan hat?«
Er nickte. »Wenn Ivanov Jagd auf meinen Bruder macht, dann liegt es daran, dass Sorbacov es ihm befohlen hat. Ich werde nicht zulassen, dass es dazu kommt, und das bedeutet, ich stelle mich offen gegen Sorbacov. Dasselbe hat mein Vater getan und er hat ihn töten lassen. Als ich hierhergekommen bin, wusste ich, dass ich der Nächste auf der Abschussliste sein werde, wenn ich es tue.«
»Aber du hast es getan.« Es war eine Aussage, keine Frage. Judith konnte die Entschlossenheit in seinen Augen sehen. Er wäre selbst dann hergekommen, wenn ihn hier ein Exe-kutionskommando erwartet hätte, und das konnte ihn zu Hause immer noch erwarten. Trotzdem … war er hergekommen.
»Er ist mein Bruder. Sorbacov hat meine Eltern getötet. Mehr Blut bekommt er nicht von meiner Familie.«
Judith erschauerte. Es mochte zwar sein, dass sie das Geistelement war und ihre eigenen Emotionen und die Gefühle von Menschen in ihrer Nähe verstärkte, doch sie fühlte genau seine unerschütterliche Entschlossenheit und seine Mordlust.
»Ich brauche eine Tasse Tee, Thomas. Komm mit mir in die Küche und lass uns dort weiterreden.« Wenn sie sich selbst gegenüber vollkommen ehrlich war, traute sie sich nicht zu, ihm zu widerstehen – schon gar nicht dann, wenn seine Loyalität gegenüber seinem Bruder für ihn selbst lebensbedrohlich war. Und auch nicht, wenn sie sah, wie er vor ihr stand und ihr Dinge über sich enthüllte, von denen sie wusste, dass er sie nie einem anderen Menschen erzählt hatte.
Sie schlang ihre Finger um seine, zog leicht daran und führte ihn zur Tür. Sie litt mit ihm. Sie war als Kind in Japan von einer liebenden Mutter und einem liebenden Vater großgezogen worden. Als ihr Vater in die Vereinigten Staaten zurückkehren wollte, hatte ihre Mutter nicht gezögert, sondern war mit ihrem Vater gegangen und hatte die Reise zu einem Vergnügen und einem Abenteuer gemacht. Ihre Mutter hatte ihr Haus zu einem Ort der Liebe und des Friedens gemacht und sie mit ihrer Heiterkeit und ihrer Liebe zum Gärtnern umgeben. Ihr älterer Bruder war liebevoll gewesen und hatte ihr gegenüber starke Beschützerinstinkte entwickelt. Sie hatte eine wunderbare Kindheit gehabt. Sogar nach dem Unfalltod ihrer Eltern, als sie ein Teenager war, hatte sie immer noch Paul gehabt. Er war in die Rolle eines Elternteils geschlüpft und hatte über sie gewacht und dafür gesorgt, dass ihr Leben möglichst beständig blieb.
Wie war die Kindheit für Thomas gewesen? Sie hatte gesehen, dass ihr Bruder gefoltert und getötet wurde, und da war sie eine erwachsene Frau gewesen. Wie musste es sein, als Kind zu sehen, wie beide Elternteile ermordet wurden, und anschließend von seinen Brüdern getrennt zu werden? Ihr Herz schnürte sich zusammen, als sie mit dem kleinen Jungen litt. Wenn sie Thomas ansah, konnte sie ihn sich nicht als Kind vorstellen. Diese grausamen, brutalen Männer, die ihn »ausgebildet« hatten, mussten den kleinen Jungen schnell ausgemerzt haben.
Stefan folgte Judith durch den Flur in ihre Küche. Sie hatte die Lichter nicht angeschaltet, aber durch all die Fenster warfen die Sterne und der Mond einen schwachen Schein, der den Raum ausreichend erhellte. Ihr langes Haar fiel ihr so tief über den Rücken, dass es seinen Blick auf den Schwung ihrer Hüften und auf ihre langen, schlanken Beine zog.
Das Aufblitzen von Schmerz in ihren Augen, wenn er ihr einige seiner Erinnerungen erzählte, war ihm beinah unerträglich. Sie war zu mitfühlend und er war ohne sie nicht mitfühlend genug. Er sollte sie nicht so sehr brauchen. Andererseits
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