Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
zu ihm auf. Sie hätte sich besser von ihm abwenden sollen. Automatisch hoben sich seine Hände auf ihren Hals und seine Finger legten sich täuschend zart um ihre Kehle. Jeder, der persönliche Informationen über seine Kindheit hatte, stellte ein Risiko für ihn dar. Seine Ausbildung hatte tiefe, kräftige Wurzeln geschlagen und sein Selbsterhaltungstrieb war ausgeprägt. Sie standen stumm da und sie sah ihm in die Augen. Sie wehrte sich nicht. Sie rührte sich nicht einmal, während sich ihr Pulsschlag unter der Bedrohung seiner Finger beschleunigte. Sie wartete unter der Kraft seiner Hände und ihre dunklen Augen blickten ihn vertrauensvoll und sogar mitfühlend an.
»Verdammt noch mal, Judith. Besitzt du denn gar keinen Selbsterhaltungstrieb? Keine Spur davon?«
»Was ist dir zugestoßen?« Judith presste eine Hand auf ihr Herz und verlagerte gleichzeitig ihr Gewicht, als täten ihr plötzlich die Füße weh. »Sag es mir, Thomas. Deine Füße … du hast Schmerzen.«
Er musste in ihrer Gegenwart noch viel vorsichtiger sein. Sie fühlte das, was andere fühlten, ebenso wie sich auch ihre Gefühle auf jeden auswirken konnten, der mit ihr in Berührung kam – und insbesondere auf ihn.
Er schüttelte den Kopf. »Es ist lange her. Ich weiß selbst nicht, warum ich gerade daran gedacht habe.«
»Das Lachen deiner Mutter? Brüder?«
»Schon lange nicht mehr.«
»Dann bist du also adoptiert worden? Und später hast du deine Mutter durch eine Krankheit verloren?«
Ihr Mitgefühl zerriss ihn innerlich. Sie hatte eine legitime Schlussfolgerung gezogen. Da seine Familie tot war, war er als kleiner Junge zur Adoption freigegeben worden. Er fiel nie aus der Rolle und tat immer alles, um Stefan Prakenskij zu schützen, und doch hatte er, sowie er in ihrer Gesellschaft war, die Büchse der Pandora geöffnet. Er zwang sich zu einem Achselzucken, während er seine Abwehr verstärkte.
»Was ist passiert, als du klein warst? Es ist in Russland passiert? Deine Mutter ist Russin gewesen? Warst du in einem Waisenhaus und jemand hat dort die Kinder misshandelt?«
Darauf konnte er ihr eine ziemlich ehrliche Antwort geben. »So ungefähr. Das war vor langer Zeit, Judith, und wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich lieber nicht daran denken.«
Er streichelte zärtlich ihren verletzbaren Hals und verfluchte sich dafür, dass er ein solches Monster war. Sie dagegen glänzte strahlend hell und hielt sich selbst für dunkel und zu gefährlich, um ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, aber sie wusste nicht, was für ein Monster er in Wirklichkeit war.
Judith zog sich auf ihre Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. »Lass uns Traktor fahren.«
Seine Finger verschlangen sich mit ihren und hielten sie fest. Ein Schock nach dem anderen durchfuhr ihn. Sein Denken hatte sich stets um Kampf und Waffen gedreht. So war das nun mal bei Männern wie ihm. Man gab nie seine Waffen ab und seine Hände waren nun mal tödliche Waffen. Jetzt hatte er schon zum zweiten Mal das Undenkbare getan, und das Schlimmste daran war, dass es ihm nichts ausmachte. Er wollte den Körperkontakt zu ihr.
Er ließ zu, dass sie ihn hinter sich herzog. Sie brachte alles ins Wanken, woran er jemals geglaubt hatte, und stellte alles auf den Kopf. Sie bewegte sich wie der Wind, ein geschmeidiger, anmutiger Lufthauch an seiner Seite, und sie gab ihm das Gefühl, ein König zu sein. Er fühlte, wie ihn ihre helle Freude mitriss und ihr Ausbruch von Glück auf ihn übergriff und sich auf seine eigene Stimmung auswirkte. Er ließ es zu und lockerte seine Rüstung gerade genug, um ihren Geist tiefer in sich aufzunehmen.
»Mir sind die vielen Vorrichtungen zum Brandschutz aufgefallen. Müsst ihr euch Sorgen wegen Waldbränden machen?«
Die Farm war von dichten Wäldern umgeben, einer großen Vielfalt von hohen Bäumen, die sehr gesund aussahen, fast wie Wächter, die einen Kreis um das große Gelände bildeten und sie vor Außenstehenden schützten. Ständig flogen Vögel am Himmel oder thronten auf den höheren Ästen, um erneut ihre Kreise über der Farm zu ziehen und schließlich wieder zu landen.
»Nicht wirklich, aber wir sind gern auf alles vorbereitet. Wir haben diese Farm gemeinsam gekauft, meine Schwestern und ich, und wir hoffen, dass wir hierbleiben können.«
Ihre Stimme stockte kaum merklich. Er warf einen schnellen Seitenblick auf sie, während sie auf einem schmalen, gewundenen Pfad durch ihren riesigen Blumengarten liefen. In ihrem
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