Hütet euch vor Harry
vermisse dich. Ehrlich, Bill. Wann kommst du zurück?«
Sheila hörte keine normale Antwort, dafür ein Räuspern der Verlegenheit. Sie kannte ihren Mann und sagte nur: »Bitte, Bill…«
Bill sprach. »Ich finde es ja toll, Sheila, daß du dich nach mir sehnst, doch…«
»Komm zur Sache, Bill!«
»Ja, Sheila! Es kann später werden.«
»Wie spät?«
»Das weiß ich noch nicht.«
Sheila, aus Erfahrung klug geworden, fragte: »Könnte es auch für heute zu spät werden?«
»So ist es.«
»Dann sehen wir uns morgen früh.«
»Eher gegen Nachmittag. Du hast ja von Johnny berichtet. Ich hoffe, euch geht es gut, Sheila. Es tut mir ja selbst leid, aber ich kann hier nicht absagen.«
Sheila war ein wenig enttäuscht, und sie ließ es Bill auch merken. »Dann werde ich Johnny einen schönen Gruß von dir bestellen.«
»Mach das. Noch etwas. Kommt er mit seinem neuen Freund zurecht?«
»Ja, sie sind unterwegs, aber das sagte ich dir schon.«
»Okay, bis morgen, Liebes.«
»Mach’s gut, Bill.«
Sheila lächelte bitter, als sie auflegte. Sie mochte es nicht, wenn Bill seine Zeiten überschritt. Überhaupt gehörte sie zu den Menschen, die immer mißtrauischer wurden. Es lag an dem Leben, das die Conollys führten. Sie hatten das Gefühl, von einer permanenten Gefahr umgeben zu sein, die sie wie ein Kreis umschloß und beobachtete. In der letzten Zeit war zwar nicht viel passiert, und Nadine hatte sich auch nicht mehr gemeldet, seit sie rückverwandelt war, dennoch war die Angst vorhanden, daß das Unheil jederzeit wieder über sie hereinbrechen könnte. Sie, Bill und Johnny versuchten stets, den Eindruck einer normalen Familie aufrechtzuerhalten. Das jedoch fiel ihnen sehr schwer, auf allen dreien lastete eine starke Bürde. Mehr als einmal hatten Schwarzblütler versucht, sie zu töten. Wer einen John Sinclair seinen Freund nannte, der lebte eben gefährlich.
Mit etwas müden Schritten ging sie durch das Haus. Wenn sie aus dem Fenster schaute, sah sie einen trüben Sommertag. Kühl war es nicht geworden, eher drückend.
Es schellte.
Sheila war derart in Gedanken versunken, daß sie sich erschreckte. Sie schaute kurz auf die Uhr, dann kehrte sie zurück in den Flur und blickte auf den kleinen Monitor, der neben der Tür angebracht war. Eine Kamera überwachte den Eingang vordem großen Vorgarten. Sie übertrug das Bild des Besuchers auf den Monitor.
Im ersten Moment runzelte Sheila die Stirn, weil sie niemanden sah.
Wieder schellte es.
Sheila ging zur Tür, hörte das Klopfen und wenig später die Stimme von Harry. »Bitte, Mrs. Conolly, ich…«
»Ja, schon gut, Harry.« Sheila wunderte sich, daß die Jungen bereits zurück waren. Sie hatten sich eigentlich vorgenommen, bis zum Abend zu bleiben. Möglicherweise hatte John Sinclair keine Zeit für sie gehabt.
Sheila öffnete die Tür. Überraschung malte sich auf ihrem Gesicht, denn sie sah nur einen jungen Mann.
Harry lächelte sie an.
Sie schaffte es nicht, zurückzulächeln, sondern schüttelte den Kopf. »Wo ist Johnny?«
»Darf ich reinkommen?«
»Bitte.« Sie gab den Weg frei. »Ist denn etwas passiert, Harry?« Eine böse Ahnung beschlich sie. Die Vergangenheit hatte Sheila sehr sensibel gemacht.
Harry schloß die Tür. Er lockerte sein Stirnband und lehnte sich gegen die Wand. »Passiert ist nichts, aber Johnny hat einige Freunde aus seiner Klasse getroffen. Sie wollten noch irgendwohin, ich hatte aber keine Lust mehr.«
»Wo wollten sie denn hin?«
»Ich glaube, daß sie ins Kino…«
Sheila ließ Harry nicht ausreden. »Seltsam«, sagte sie leise. »Das ist so gar nicht seine Art. Nein, so kenne ich Johnny nicht. Er hat nie so reagiert.«
»Ja, aber ich konnte ihn nicht halten.«
»Ich mache dir auch keinen Vorwurf, Harry. Aber es ist nun einmal so. Johnny…«, sie wechselte das Thema. »Hat er denn gesagt, wann er wiederkommen wollte?«
»Ja, noch am Nachmittag.«
»Und weshalb bist du nicht mitgegangen?«
»Ich wollte nicht.«
Das akzeptierte Sheila nicht. »Du bist fremd hier in London, Harry. Du hättest sicherlich noch etwas sehen können. In der Gruppe hat man oft die besten Ideen.«
»Das mag schon stimmen, Mrs. Conolly, aber ich gehöre mehr zu den Einzelgängern. Ich brauche die Masse nicht, wenn Sie verstehen. Außerdem gefielen mir einige Typen nicht.«
»Kennst du denn Namen?«
Er überlegte. »Die habe ich vergessen, glaube ich. Ja, die habe ich tatsächlich vergessen. Außerdem redeten sie sich mit Spitznamen
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