Hütet euch vor Harry
ließ die Treppe hinter sich. Das Licht hätte nicht zu brennen brauchen, er fand sich hier im Dunkeln zurecht. Er wußte nicht, was er aufräumen, wo er anfangen sollte. Es war einfach zu schlimm, denn im Keller lag alles durcheinander. Alte Lumpen, Holzstücke, es lagen dort Scherben, Papier und Stroh, und die Ratten hatten sich in dem Wust zahlreiche Verstecke geschaffen.
Auch jetzt hörte er sie rascheln, das Tappen ihrer Füße, das leise Fiepen.
Sie ärgerten sich über ihn. Das Licht kannten sie, aber sie haßten es, daß er gekommen war.
Einfach so war er gekommen, hatte sie in ihrer Ruhe gestört.
Es war ihm egal.
Er ging weiter. Seine Schritte schleiften über den schmutzigen Boden, als sollten diese Geräusche die Ratten verscheuchen. Er passierte das Öllicht. Es sah aus wie eine zuckende Lache, über die blasse Flämmchen hinwegtanzten.
Für einen Moment blieb Harry stehen, schaute nach unten, als könnte er in einen Spiegel sehen.
Aber da war nur die glatte, hellblaue Fläche mit den tanzenden, dünnen Flammen darauf, die sich hin- und herbewegten wie ein Vorhang, der manchmal über den Rand hinweggriff, als wollte er den Boden entzünden.
Aufräumen sollte er.
Harry verzog das Gesicht. Da gab es nichts aufzuräumen. Wenn er wirklich anfangen sollte, dann mußte der ganze Mist weggeworfen werden. Einfach aus dem Keller nach draußen, das wäre einem Aufräumen gleichgekommen, aber nicht das, was seine Mutter wollte.
Sie hatte ihn nur nicht mehr sehen können, diesen verdreckten, verlumpten Halbwüchsigen, den sie geboren hatte und der nichts als eine Last für sie war. Manchmal wünschte er sich ihren Tod herbei, und er wunderte sich nicht einmal darüber, daß ihn dieser Gedanke nicht erschreckte. So gleichgültig war ihm seine Mutter geworden.
Plötzlich haßte er das Öllicht. Er hätte die Schüssel mit der Flüssigkeit am liebsten umgetreten, aber er war auch schlau. Es war nicht gut, die Mutter so offen zu ärgern, er wußte ja, daß es andere Möglichkeiten gab.
Ganz andere…
Wenn er an den Keller dachte, dann fielen ihm seine Alpträume ein, in denen all die fürchterlichen Gestalten erschienen, vor denen er sich während des Schlafs fürchtete. In seinen Träumen verließen sie die Gestade der Finsternis, in die sie sich sonst zurückgezogen hatten. Da lebten sie, da ging es ihnen gut, da fühlten sie sich wohl. Aber Harry wußte auch, daß es sie nicht nur in seinen Träumen gab, denn sie waren wirklich vorhanden. Sie gehörten zu denen, die die Dunkelheit liebten und sich auch tagsüber dort verborgen hielten.
Und wo war es immer dunkel?
»Im Keller!«
Er lächelte, als er daran dachte, einige kleine Schritte in die linke Richtung ging, bis er an einer Wand landete, die in der Finsternis nicht zu sehen gewesen war, denn bis zu dieser Stelle reichte der Schein des Öllichts nicht.
Harry blieb dort stehen.
In den ersten Sekunden klopfte sein Herz noch lauter als gewöhnlich, dann aber hatte er sich daran gewöhnt und wartete ab. Er konzentrierte sich auf die Dunkelheit, hielt die Augen weit offen und starrte in die Schwärze, die ihm nicht leer vorkam, denn dort lauerte jemand.
Es waren nicht sichtbare Wesen, es waren die anderen, die Stimmen, es waren die, die auch flüstern konnten und die ihn eigentlich erwartet hatten, so wie sie ihn immer erwarteten, wenn er in den Keller kam. Aber heute würde es endgültig werden, das wußte er auch. Da fiel der Vorhang, da war er dann für immer verschwunden. Die entscheidende Minute stand für Harry dicht bevor.
Und so wartete er.
Die Hände hatte er ineinander verkrallt. Er gab sich der Stille hin, die er so mochte. Und doch hörte er etwas.
Es waren nicht die Geräusche, auf die er gewartet hatte. Die Laute drangen durch die noch offene Kellertür an seine Ohren. Er erkannte die Stimme seiner Mutter und hörte auch die eines Mannes, der sehr tief und sonor sprach.
Damit konnte er nichts anfangen. Harry kam in den Sinn, daß er diese Stimme noch nie gehört hatte.
Wieder ein Fremder…
Egal, er wollte ihn vergessen. Das war Sache seiner Mutter. Er hatte andere Freunde.
Sie waren hier, hier im Keller. Sie hockten in der Dunkelheit, sie lauerten im Schatten, sie hatten bestimmt schon auf ihn gewartet, weil heute ein entscheidender Tag für ihn war.
Heute und nicht an einem anderen Tag.
Und sie enttäuschten ihn nicht. Plötzlich waren sie da, und sie erreichten ihn überfallartig. Sie sprachen auf ihn ein, sie wisperten, sie
Weitere Kostenlose Bücher