Hüttengaudi
verschwendet hat, bis er sicher sein konnte, dass ich die Kinderfrage abgehakt hatte. Er hat Kinder gehasst. Ich hätte gerne welche gehabt. Ich war vierzig, als ich ihn rausgeworfen habe. Im gleichen Jahr sind die Maurers nebenan eingezogen.«
»Da wäre doch noch Luft gewesen? Ich meine, für ein Kind.« Irmi sah ihr Gegenüber nicht an, sondern kraulte nur unentwegt den Kater.
»Theoretisch ja, praktisch nein. Es gibt Zeiten im Leben für so manches. Wenn man diese Zeiten überschreitet, macht man sich lächerlich. Vor sich selbst und vor den anderen.«
Irmi schwieg. Wenn Helga Mayr damals vierzig gewesen war, musste sie heute sechsundfünfzig oder siebenundfünfzig sein. Irmi hätte sie jünger geschätzt. Sie war schmal und sah irgendwie nicht ganz gesund aus.
»Drum haben Sie Ann-Kathrin so lieb gehabt?«
»Kommen Sie mir jetzt nicht mit diesen Theorien. Katzen als Kindersatz, Nachbarskind als Hilfe zur Bewältigung der eigenen Frustration.« Frau Mayr wurde lauter.
»So hab ich das nicht gemeint!«
»Ja, entschuldigen Sie, das glaub ich Ihnen. Wahrscheinlich bin ich da überempfindlich.« Sie schenkte Irmi Kaffee nach. »Aber es geht Ihnen um Ann-Kathrin? Deshalb sind Sie wieder hier?«
Kathi hätte sie an dieser Stelle sicher gestoppt. Sie hätte ihr vorgeworfen, immer zu viel preiszugeben, aber Irmi fand, dass sie der Frau die Wahrheit schuldig war.
»Ich will ganz ehrlich sein. Ich bin im luftleeren Raum. Es geht nicht nur um Martin, sondern auch um einen weiteren Toten. Wir wissen, dass zwischen beiden ein Zusammenhang besteht.«
Die Frau unterbrach sie: »Der Tote vom Hausberg? Ich hab in der Zeitung davon gelesen.«
»Ja, Martin hat für ihn gemakelt. Es ging um eine Immobilie von beträchtlichem Wert. Der Zusammenhang ist klar, es ist auch erwiesen, dass sie sich am Hausberg getroffen haben.« Irmi unterbrach sich kurz, weil der Kater, der draußen irgendetwas gesehen hatte, schwungvoll hochgeschossen war. Hinterlassen hatte er einen Teppich aus Haaren.
Die Nachbarin lächelte. »Er haart etwas. Frau Mangold, mir ist schon klar, dass Sie mir nichts erzählen dürfen, ich helfe Ihnen aber gerne, wenn ich kann. Falls Sie aber denken, dass ich mehr über Martins Leben weiß, Fehlanzeige. Wir hatten nur sporadisch Kontakt per Telefon und E-Mail. Ob er hier war, ob er diesen Mann gekannt hat, keine Ahnung.«
»Darum geht es mir auch gar nicht. Es geht darum«, Irmi atmete tief durch, »dass wir zwei Verdächtige haben und nicht weiterkommen. Mein Team hält mich inzwischen für etwas wunderlich, aber ich spüre, dass da mehr sein muss. Ich hoffe, das genügt Ihnen für den Moment. Sie sehen sich einer ratlosen Kommissarin gegenüber, die ein unbestimmtes Gefühl hat, das sie nicht fassen kann.«
»Und wie kann ich Ihnen helfen?«
»Können Sie mir mehr über den Tod des Mädchens erzählen?« Irmi zögerte. »Ich weiß, dass das weh tut …«
Helga Mayr schwieg eine Weile und begann dann leise zu erzählen: »Ann-Kathrin war wie gesagt ein gutes Mädchen. Reif, ich fand sie fast weise für ihr Alter. Und dann war sie ja mit Christian und der Oma zusammengezogen. An diesem Abend war sie mit ein paar Freundinnen bei so einer Bauwagenfete. In den frühen Morgenstunden sind sie an der Straße heimgelaufen. Haben rumgeblödelt, die anderen waren richtig betrunken, Ann-Kathrin gar nicht mal so sehr. Sie haben herumgealbert, und Ann-Kathrin ist auf die Straße gelaufen. Just in dem Moment kam ein Auto. Es war neblig, da war nichts zu machen. Sie war sofort tot.« Ihr traten Tränen in die Augen. »Wissen Sie, das Mädchen hat fast nie was getrunken. Auf dieser Fete hat sie wohl ein Bier und zwei Feiglinge gehabt, sie hat aber wirklich nicht besinnungslos gesoffen. Sie wollte ihren Auszug feiern. Ihre Freiheit, ihr neues Leben. Eine kurze Freiheit.« Mit einem »Entschuldigung« flüchtete die Frau vom Tisch und kam kurz darauf mit einem zerknüllten Tempo wieder.
Irmi schwieg eine Weile. »Was wurde aus diesem Christian? War er auch auf dieser Fete?«
»Nein, das war ein Mädelsausflug. Ich habe keine Ahnung, wo er heute lebt. Die Oma, also Martins Schwiegermutter, ist bald darauf gestorben. Aus Gram, würde ich sagen. Ihre Enkelin war ihr ein und alles.«
»Und Sabine ist seither in Freiburg?«
»Sehen Sie, die Polizei war da, ein Seelsorger und ein Kriseninterventionsteam. Eine Weile wurde über den Sinn dieser Bauwagen diskutiert, und nach zwei Monaten krähte kein Hahn mehr danach. Erst kam
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