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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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ist der innere Schweinehund. Und du sitzt platt in der Küche und kannst grad noch den Suppenlöffel halten.«
    Wie hatte der Allgäuer gesagt: Das Leben ist kürzer als dieser Löffel? Er oder Janosch hatten recht. Man rannte wie ein Hamster im Rädchen, bis man irgendwann mal hinausfiel und auf dem Käfigboden namens Leben liegen blieb. Immer wenn das Rad unerträglich schnell wurde, könnte man es eigentlich verlangsamen. Doch die wenigsten sahen die Zeichen, hörten die Botschaften, und wenn sie sie hörten, dann handelten sie nicht.
    Martina nickte zustimmend. »Du hast einen komischen Fall grad, hab ich in der Zeitung gelesen. Der Tote am Hausberg. Bist du dran?«
    »Ja, und der macht mir so zu schaffen, dass ich beschlossen hab, auf einen Berg zu laufen. Gut für den Kopf.«
    »Schön, dass du meinen Berg genommen hast.«
    »Danke. Der Fall ist wirklich ziemlich zäh.«
    »Also, ich könnt das nicht«, sagte Martina. »Alle lügen dich an, du musst die Wahrheit rausfiltern, du musst immer misstrauisch sein, puh. Ich bewunder dich da sehr.«
    »Bewundernswert ist da gar nichts.« Irmi überlegte kurz. »Alle lügen gar nicht. Sie sparen nur Teile aus, sie lassen sich die Informationen aus der Nase ziehen.«
    »Ja, aber du musst ein sehr gutes Gespür für Menschen haben, oder?«
    Martina, die Gute! Da traf sie den Punkt. Genau das war doch das Problem. Das Gespür, wo war das hingekommen? Und ohne dass sie so recht gewusst hätte, warum, wurden Irmis Gedanken zu Sätzen.
    »Ich habe das Gespür verloren. Ich traue meinen Gefühlen nicht mehr. Ich traue meiner Menschenkenntnis nicht mehr. Ich glaube, ich bin jemand, der eigentlich sehr gut hinsehen kann und sehr gut zuhören. Der die Worte zwischen den Zeilen lesen kann, die, die mit unsichtbarer Tinte geschrieben sind. Ach, Martina. Irgendwie ist mir mein Gefühl für die Menschen abhanden gekommen.«
    »Warum?«
    In dieser schlichten Frage, in Martinas ruhiger freundlicher Stimme lag genau das Problem. Warum war sie so verwirrt?
    Irmi überlegte. Dann sagte sie ganz leise: »Mein Exmann hat viel zerstört in meinem Leben. Ich hatte mich ganz gut wieder berappelt damals und …« Irmi kam ins Stocken. Erzählte sie womöglich zu viel von dem aktuellen Fall? Sei’s drum. »Durch diese Sache wird das Ganze wieder präsent. Vertrauen und Misstrauen, sich öffnen und sich zurücknehmen – ich finde die Balance nicht mehr. Und immer wenn ich das Gefühl habe, ich hätte einen Zipfel erwischt, kann ich ihn nicht festhalten. Immer wenn ich glaube, mein Gespür wiedergefunden zu haben, sind das nur Sekunden oder Minuten. Dann zweifle ich erneut. Verstehst du?«
    »Ja. Aber einem Idioten in deinem Leben darfst du nicht so viel Macht über dich einräumen. Ich glaube ja nicht, dass du deinen Instinkt verloren hast.« Martina lächelte.
    Touché! Vor Jahren hatte Irmi eine Frau kennengelernt, die die Fähigkeit besessen hatte, menschliche Schwingungen aufzunehmen. Keine dubiose Esoterikerin, keine Selbsthilfetante mit einem Zertifikat aus einem Wochenendseminar. Nein, eine tief christliche Frau, die ihr damals geraten hatte, sich den Satz einzuprägen: »Im Namen Jesu Christi nehme ich das nicht an!« Das sollte sie sagen, wenn ihr jemand Dinge erzählte, die sie gar nicht hören wollte. Von Martin und Sabine zum Beispiel. Offenbar hatte Irmi ein wenig ungläubig geschaut, denn die Frau hatte lächelnd nachgeschoben: »Den Jesus Christus können Sie auch weglassen. Es hilft auch zu sagen: Das nehme ich nicht an.«
    Was Martina da sagte, war im Prinzip das Gleiche. Wieso setzte ihr Martin so zu? Wieso räumte sie ihm diese Macht über ihr Leben ein? Irmi kannte die Antwort: weil er ihr nie eine Chance zu einer Aufarbeitung gegeben hatte, nie eine Chance zum Gespräch. Er hatte sich verweigert, also musste sie sich auch verweigern. Die Zugbrücke hochziehen und seine Macht unterbinden. Unterscheiden zwischen Martin und dem Rest der Welt. Lernen, dass die Bösartigkeit eines einzelnen Menschen nicht auf alle anderen übertragbar war.
    »Martina, du hast natürlich recht. Aber so einfach ist das nicht.«
    »Nein, aber was ist schon einfach?«
    Irmi lachte und fühlte sich auf einmal so viel freier. Als sie schließlich zahlte, ließ es sich Martina natürlich nicht nehmen, das Weißbier auszugeben, Irmi durfte nur den Leberkas bezahlen.
    Ehe es Zeit wurde für die Bahn, trat Irmi hinaus und ging bis an die Kante, wo im Winter die steile Skiabfahrt begann. Sah hinunter,

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