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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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dann in die Berge. Legte den Kopf in den Nacken. Wind war aufgekommen, und erste Regentropfen fielen. Kalte Tropfen. Gedanken bergauf! Und auf einmal war sich Irmi sicher: Da war etwas, was sie nicht gesehen hatte. Das Kreuz war kein Zufall.

    Als sie in der blauen Kabine saß, die nur elf Menschen fasste, trommelte der Regen gegen die Gondel. Bald würde es schneien.
    Wie jedes Mal, wenn die Gondel am Mast hielt, musste Irmi grinsen. »Dieser Stillstand ist betriebsbedingt. This stoppage is a normal consequence of operation.« Ja, das musste man dem eiligen Touristen schon mitteilen – nicht dass er etwa dachte, er sei hier vergessen worden.
    Wenig später saß sie im Auto. Beim Starten stellte sie fest, dass der Scheibenwischer erbärmlich quietschte. Das bemerkte sie nur, wenn es regnete. Bei Sonnenschein dachte sie natürlich nicht daran, das Quietschen zu beheben.
    Am Ettaler Berg krochen ein paar Touristen wie Schnecken durch die nassen Kurven. Inzwischen schüttete es. Er nannte das plästern. Das war ein Ruhrpottbegriff für starken Regen. Es plästert, irgendwie ein nettes Wort. Und wenn man sich einen plästerte, dann schaute man zu tief ins Glas – oans, zwoa, g’suffa.
    Irmi parkte ihr Auto vor dem Grundstück von Martins Nachbarin. Zögerlich ging sie näher, verharrte kurz vor der Türe, ehe sie klingelte. Die Garage stand offen, ein kleines gelbes Auto stand darin. Ums Eck kam ein roter Kater gelaufen, sichtlich genervt von dem Wetter, und maunzte sie vorwurfsvoll an.
    »Ja, Alter. Fürs Wetter kann ich aber nichts.«
    Sobald sich die Tür öffnete, schoss der Kater ins Haus.
    »Ah, Frau Mangold.« Frau Mayr sah Irmi abwartend an.
    »Dürfte ich Sie noch mal belästigen?«
    »Sicher. Nehmen Sie wieder einen Kaffee?«
    »Gerne«, sagte Irmi.
    Diesmal war es fürs Salettl eindeutig zu unwirtlich. Irmi wurde in ein Wohnesszimmer geführt und nahm in einer Art Erker Platz, wo ein runder Tisch und eine halbrunde Bank standen. Die Tischdecke war türkis, die Polster ebenso, und mitten auf dem Tisch stand eine Glasvase mit orangefarbenen Blumen.
    Es war gemütlich hier. Die Frau hatte es verstanden, aus einem eigentlich langweiligen Haus etwas zu machen. Irmi bewunderte Frauen, die so ein innenarchitektonisches Händchen hatten.
    Der Kaffee kam in Bechern. Neugierig sprang der Kater auf den Tisch und inspizierte Irmis Tasse.
    »Entschuldigen Sie. Man hätte James mal erziehen müssen.«
    »Kein Problem, Frau Mayr. Unserer springt auch auf den Tisch, allerdings nur bei mir. Mein Bruder staubt ihn natürlich runter vom Tisch.«
    »Sie leben mit ihrem Bruder zusammen?«
    War das ein Vorwurf? Wies die Frage drauf hin, dass Irmi eine war, die in Beziehungsdingen versagt hatte und nun als alte Bauernjungfer mit dem Bruder alt werden musste? Sie schalt sich selbst und beschloss, nicht so empfindlich zu sein.
    »Ja, wir haben eine kleine Landwirtschaft, der Bruder macht das im Vollerwerb, ich helf, wenn ich Zeit habe.«
    »Das ist schön«, sagte Frau Mayr und lächelte. Nein, sie hatte mit der Frage nichts weiter bezweckt. »Ich habe leider keine Geschwister. Keine Kinder. Keine Eltern mehr. Man ist auf einmal so allein. Ich meine, man ist im entscheidenden Moment ja immer allein, aber eine Familie ist doch ein Rückhalt.«
    Das war wohl so, trotz der Wahlverwandtschaften, die man schließen konnte. Was hätte sie ohne Bernhard getan? Er war ein Büffel, manchmal ein sturer Bauernschädel, aber er war eben Bernhard. Der sie kannte wie kein zweiter. Den sie kannte. Er war ihr Lebensrahmen. Ihre Heimat. Er trug eine gemeinsame Zeit mit den Eltern im Herzen. Und Irmi wusste, dass es letztlich ihr Bruder war, der die Mutter am meisten vermisste. Mit ihr war er weniger unsicher und weniger aufbrausend gewesen. Die Mutter hatte ihm den Halt gegeben, der ihn sicher machte. Irmi nahm sich vor, mal mit ihm darüber zu reden. Wenn es sich ergab. Ach was, es würde sich nie ergeben, denn bisher hatten sie auch noch nie über den Verlust der Mutter gesprochen. Irgendwie waren sie alle Treibgut. Nach außen mochte ihr Tun gewollt und geplant wirken, wenn sie auf den Wogen des Lebens dahinritten, doch in Wahrheit waren sie alle getrieben. Jeder auf seine Art.
    Irmi lächelte und kraulte den Kater hinterm Ohr, der sich wie selbstverständlich auf ihrem Schoß niedergelassen hatte. »Vielleicht ist das eine indiskrete Frage, aber gibt’s keinen Mann?«, fragte Irmi.
    »Nicht mehr. Es gab einen, der mein Leben so lange

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