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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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vergessen. Tränen schossen in ihre Augen. Es war Zeit, Abschied zu nehmen.
    Wally war der Hund, der den Kopf auf die Tastatur ihres Laptops gelegt hatte. Sie war der Hund, der zahllose Stunden zu ihren Füßen verbracht hatte. Auch vor Wally hatten sie Hunde gehabt, aber Wally war etwas ganz Besonderes. Irmi hatte sie schon in ihren ersten Lebenssekunden gesehen, dieses nasse Etwas. Sie war jene in dem Wurf gewesen, die, kaum hatte sie die Augen offen, geknurrt hatte, sie, diese kleine, kühne, streitbare Hundedame.
    Irmi hob Wally vorsichtig hoch, sie wog fast nichts mehr. Behutsam hüllte sie sie in eine Decke und trug sie in die Stube. Bettete sie auf die Couch. Dann versuchte sie Bernhard zu erreichen, doch sein Handy war aus. Weder im Schützenheim noch in seiner Lieblingskneipe war er.
    Dann wählte sie die Nummer von ihm , doch nur die Mailbox meldete sich. Sie wusste nicht, welche Zeit bei ihm gerade war, was er gerade machte. Es war immer so: Wenn es drauf ankam, war sie allein. Allein mit den schrecklichen Entscheidungen.
    Sie rief die Tierärztin an, nicht Bernhards Kuhdoktor. Die Tierärztin, eine Freundin aus Kindertagen, kam dreißig Minuten später. Irmi hatte die Tür angelehnt gelassen und saß im Halbdunklen mit Wally auf dem Schoß. Die letzte halbe Stunde saßen sie so. Wally, in eine Fleecedecke verpackt, die Augen riesig, die Füße und die Ohren trotz der warmen Decke kalt wie Eis.
    Wally schlief leise ein, das verzweifelte Herz, das rasende Herz, das taktlose Herz durfte endlich aufgeben. Mit so einem Loch in der Herzklappe hatte man keine Chance, auch nicht als Hundekämpferin, die so gerne leben wollte. Leben wollen heißt nicht unbedingt auch leben können.
    »Sie hatte so ein schönes Leben, ein tolles Hundeleben, auch ein langes«, sagte die Tierärztin und reichte Irmi ein Taschentuch.
    Irmi schluchzte auf.
    »Sie hatte auch einen schönen Tod. Sie war nicht allein.« Die Ärztin schenkte Irmi einen liebevollen Blick und ging. Irmi saß da mit dem toten Hund, Kater war neben sie gesprungen, und sie hielten Totenwache. Irmi hätte nicht sagen können, wie lange es dauerte, bis Bernhard kam.
    Er erfasste die Situation, und er sagte nichts. Ging hinaus und kam nach zehn Minuten wieder.
    »Komm!«, sagte er ganz leise. Er nahm die Hündin auf den Arm und reichte Irmi die Hand.
    Der Mond spitzte durch die Wolken und erhellte das Loch, das Bernhard ausgehoben hatte. Er legte den Hund samt der Decke vorsichtig in die Grube und begann sie zuzuschaufeln. Irmi weinte und weinte, die Tränen rannen ihr die Wangen hinunter, eine Flutwelle an Tränen. Tränen wegen Wally, wegen Martin, wegen ihres ganzen Lebens.
    Bernhard hatte zwei Flaschen Bier aufgemacht und reichte seiner Schwester die eine. Im Mondlicht konnte sie sehen, dass auch er weinte. Er hatte Irmi den Arm um die Schulter gelegt und sagte leise, mit einer von Trauer und Schmerz belegten Stimme, die Irmi nur sehr selten bei ihm gehört hatte: »Sie hatte es vorher gut, und jetzt hat sie es auch gut.«
    Nun lag Wally bei den anderen im Gräberfeld unter den Obstbäumen. Wo schon zwei Hunde und etliche Katzen lagen, überfahren, herausgerissen aus dem kunterbunten, spannenden Katzenleben. Wally war langsam gegangen, sie war verfallen, jeden Tag kritisch beäugt, ob sie noch Freude am Leben habe, ob die guten Stunden die schlechten überwogen.
    Irmi wusste es ja: Sie war eine gute Freundin, eine gute Mitbewohnerin gewesen. Sie hatte gewusst, wann es Zeit war, loszulassen. Aber es schmerzte so sehr. Wieder würde ein Tier am PC-Bildschirm der Tierärztin gelöscht sein, Leben sind so leicht zu löschen. Wally würde nicht mehr zurückkommen.
    Sie tranken das Bier, Bernhard war noch mal weggegangen und hatte Irmi ein dickes Fleecehemd geholt. Irmi war auf einen alten Biergartenstuhl gesunken und starrte ins Nirgendwo. Kater strich herum, und als Bernhard einen großen Stein auf die frische Erde legte, sprang Kater drauf und schaute von seinem erhöhten Platz zu Irmi hinüber.
    Sie musste ein klein wenig lächeln, so war das Leben, ein Kommen und Gehen, ein ewiger Kreislauf, wenn auch manchmal ziemlich anstrengend.
    »Magst du nicht reingehen?«, fragte Bernhard. »Es ist saukalt, und es wird Frost geben.«
    »Gleich«, sagte Irmi und sah Bernhard nach, der, gefolgt von Kater, über die taufeuchte Wiese ins Haus ging.
    Nun war sie allein mit Wally, lange.
    Irgendwann läutete ihr Handy. Er war es.
    »Hallo«, sagte Irmi.
    Er hörte sofort, dass

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