Hüttengaudi
Facettenreich!« Irmi grinste.
Und wie so oft war sie von Kathis Offenheit überrascht. »Ja, facettenreich ist ein gutes Wort. Ich befürchte nur, dass ich da weniger schillernd geschliffen bin. Er hat ein bisschen viele Facetten, die ich nicht verstehe.«
»Läuft’s nicht so gut?«, fragte Irmi.
»Im Bett super, sonst aber komm ich nicht an ihn ran. Man kann auch nicht einfach was ganz Normales mit ihm machen. Also ich mein, mal essen gehen oder einen doofen Film sehen. Oder mal an der Isar Inlineskaten. Das ist seiner Meinung nach eine amerikanische Zeitverschwendung für Weiber, die ihre fetten Ärsche in Form bringen wollen. Bei ihm ist alles, was er tut, eine Lebensäußerung, nichts darf banal sein. Die Filme, die er ansieht, sind völlig schräg. Und Sport muss immer extrem sein. Er klettert am DAV-Felsen und im Isartal, aber dann alles über Schwierigkeitsgrad sechs und möglichst ohne Sicherung. Er geht mit ein paar Kumpels sogar S-Bahn-Surfen.«
»Kathi, du bist Polizistin! Das ist doch krank. Der spielt mit seinem Leben!«, rief Irmi.
»Er sieht das nicht so. Er sagt, das alles sind Grenzerfahrungen, die ihn weiterbringen. Kürzlich ist er zur Rushhour mit verbundenen Augen über die Leopoldstraße gelaufen.«
»Kathi, sei mir nicht böse, aber der Typ ist irre. Rette dich vor ihm!«
»Ja, aber dann ist er wieder so süß. Er kocht für mich. Er hat mir ein Lied komponiert in einer Sprache, die es gar nicht gibt.«
»Kathi, wer solche Grenzerfahrungen braucht, hat ein Persönlichkeitsproblem. Das ist ähnlich wie bei den Leuten, die sich selbst verletzen. Da ist etwas mit seinem Selbstwertgefühl sehr im Argen, das sag ich dir. Er ist nicht so cool, wie er tut. Tief drin ist der Knabe kaputt.« Sie suchte Kathis Blick. »Pass auf dich auf. Der Typ tut dir weh. Wer nicht auf sich selbst achtet, geht auch nicht achtsam mit anderen Menschen um.«
Achtsam, ja das war ein schönes Wort und Achtsamkeit eine vom Aussterben bedrohte Fertigkeit. Das Wort selbst sollte man besser unter Naturschutz stellen, so wie blümerant, Flegel und Hupfdohle. Wie Labsal oder Schlüpfer. Letzterer hieß heute doch Hipster oder Panty.
Kathi sah Irmi an. »Ich weiß das irgendwie, aber dann … dann …« Sie sah unglücklich aus, verletzlich und sehr jung. Sie liebte diesen Typen, und das machte sie schwach. Irmi wusste, dass auch Kathi eine Getriebene war. Selten zufrieden, immer auf der Suche. Natürlich wirkte so ein Typ wie eine Droge auf Kathi, die immer hinter die Kulissen sehen wollte.
Und für Irmi als Beobachterin war es nicht schwer zu durchschauen, dass Kathi den typischen Kapitalfehler vieler Frauen beging: Sie wusste sehr wohl, dass dieser Sven beziehungsunfähig war, sie bezog das aber lediglich auf alle anderen Frauen, nicht auf sich selbst! Sie war ja schließlich anders, viel schöner und cooler. Sie war auserwählt, diesen Sven auf die richtige Beziehungsspur zu lenken. Doch so einer war nicht umlenkbar, denn das Problem lag in Svens kaputtem Inneren, in seiner verzwirbelten Psyche. Aber leider musste Kathi das selber herausfinden. Und es würde schmerzen.
Irmi lächelte ihre Mitarbeiterin ein bisschen wehmütig an. »Kathi, auch wenn ich jetzt wie deine Großmutter kling: Du wirst in ein paar Tagen dreißig. Das ist nur eine Zahl, ich weiß. Aber es gibt im Leben für alles eine Zeit. Plus oder minus fünf Jahre. Die einen kapieren es früher, die anderen sind Spätzünder. Aber irgendwie sind die Zeiten fürs Studentengeplänkel vorbei. Dir tät mal eine Beziehung gut, wo einer dein Leben mitträgt. Wo einer das Soferl mag und mit in euer Leben einschließt. Ein Mann, der dich auffängt und dir guttut. Das ist wahrscheinlich ein eher unspektakulärer Typ, schau dir halt mal so einen an.«
»Sagt die Fachfrau für glückliche Beziehungen. Respekt, du bist ein tolles Beispiel, oder.«
Das klang nun gar nicht so bissig wie sonst, eher gutmütig.
»Ja, völlig richtig, ich hab’s nicht hingekriegt. Aber du hast noch gute zwanzig Jahre, bis du so alt bist wie ich. Du kannst es besser machen. Wenn ich dir nur als schlechtes Vorbild dienen kann, dann ist auch schon viel gewonnen.« Irmi lächelte.
»Du meinst, ich sollte heiraten, und dann klappt es? Weißt du, wie viele Ehen geschieden werden? Deine ja wohl auch.«
Ja, ihre auch.
Kathi hatte die Stirn gerunzelt. »Was war mit diesem Martin, der dich bis heute so aus der Bahn wirft? Auch wenn er heute tot ist. Hast du gedacht, er sei der
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