Huff, Tanya
Tante
Sylvia hat immer gesagt, die Sonne in diesem Zimmer sei wie ein Wecker. Kommen
Sie runter?"
„Ja."
„Gut." Sie
schüttelte den Kopf über den BH. „Junge, bin ich froh, daß ich so was nie
brauchen werde." Sie sah sich flüchtig im Zimmer um und seufzte beredt.
„Also hierher ist der Zwerg verschwunden. Wenn er Sie nervt, werfen Sie ihn
einfach raus."
„Ich, äh, ja."
Vicki schob die Tür
zu, sobald der buschige Schwanz des langbeinigen, halb ausgewachsenen Werwolfs
von der Türschwelle verschwunden war.
Etwas, das Henry
letzte Nacht gesagt hatte, als sie zusammen die Treppen hochgingen, ergab
plötzlich Sinn.
„Innerhalb des Rudels
haben die Werwölfe keinen Sinn für Privatsphäre."
Sie zog sich eilig an
und beschloß, die Dusche zu überspringen. Nach' dem ihr Vater sie verlassen
hatte, als sie zehn war, waren ihre Mutter und sie allein gewesen. Mit Ausnahme
eines Jahres, als sie auf dem Campus gewohnt hatte, wo ihr keine andere Wahl
geblieben war, hatte sie ihr gesamtes Erwachsenenleben allein gelebt. Etwas
sagte ihr, daß dieses Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie, in dessen Mitte
sie sich wiederfand, ziemlich schnell seinen Reiz verlieren dürfte...
Die Ellbogen auf den
Küchentisch gestützt und an einer Tasse sehr guten Kaffees nippend versuchte
Vicki so auszusehen, als leiste ihr jeden Morgen eine halbnackte Frau beim
Frühstück Gesellschaft.
„Diese Kunststoffsitze
kleben", hatte Nadine erklärt, als sie sich niederließ und den
Baumwollrock glattstrich. Es war ein Wickelrock, den ein einziger Zug lösen
konnte.
Offenbar hatte Stuarts
Entscheidung in der vorigen Nacht, die Jogginghosen auszulassen, dem Rest der
Familie Gelegenheit gegeben, sich nach Belieben zu kleiden. Oder nicht.
Angesichts dessen, daß die Hitze bereits ein feuchtes V auf dem Rücken von
Vickis T-Shirt hinterlassen hatte, war das „oder nicht" vermutlich gar
keine schlechte Idee. Sie konnte die verschiedenen Kleidungsstücke einfach
nicht übersehen, die überall im Haus verstreut waren und bereitlagen, um übergezogen
zu werden, wenn ein Außenstehender kam.
,Wenn es allerdings
jemand ist, den wir nicht sehen wollen", hatte Nadine bestätigt, „bleiben
wir einfach in Fellgestalt und ignorieren ihn." Angesichts der Größe
der Fellgestalten war Vicki bereit, jede Wette einzugehen, daß Werwölfe keine
Schwierigkeiten mit unbefugten Eindringlingen hatten.
Von ihrem Platz aus
konnte Vicki durch das größte der drei Küchenfenster sehen. Zu der Aussicht
gehörte eine schmuddelige Rasenfläche, ein verwittertes Gebäude mit leichter
Neigung nach Westen, das eine Garage zu sein schien, und dahinter der
Wirtschaftshof. Wolke und Sturm lagen unter der großen Weide in der Mitte des
Rasens. Während Vicki hinsah, hob Sturm den Kopf und gähnte. Er stand langsam
auf,
reckte sich und schüttelte
sich heftig, wobei in seinem dunkelrotbraunen Haar Reflexe der frühen
Morgensonne funkelten. Er schnüffelte an Wolke, die ihn ignorierte. Er ging
halb in die Hocke, schob die Schnauze unter ihren Kiefer und hob ihn hoch. Ihr
Kopf hob sich etwa 15 Zentimeter vom Boden und fiel dann herunter. Sie
ignorierte ihn. Er tat es wieder. Beim dritten Mal wandte Wolke sich um,
verwandelte sich, und Rose packte seine Schnauze mit beiden Händen.
„Wir liegen am Ende
eines sehr langen Feldwegs." Nadine ahnte Vickis Frage voraus. „Man kann
das Haus vom Weg aus nicht sehen, und mit Ausnahme des Postboten benutzt fast
niemand die Straße außer uns."
Draußen auf dem Rasen
jagte Wolke ihren Bruder zweimal um den Baum herum und außer Sichtweite.
Das Geräusch von Krallen
auf Linoleum lenkte Vickis Aufmerksamkeit zurück ins Haus, aber es war nur
Schatten, der die Treppe herunter in die Küche kam. Er saß vor dem Kühlschrank,
kratzte sich und verwandelte sich dann, damit er die Tür öffnen konnte.
„Ma, es ist nichts zu
essen da."
„Laß die
Kühlschranktür nicht offen, Daniel."
Er seufzte, schloß sie
aber gehorsam, und Vicki wunderte sich darüber, wie sehr manche Dinge sich
überall gleichen konnten...
„Wenn du Hunger hast,
warum gehst du nicht in die Scheune und jagst Ratten?"
... und wie sehr
manche Dinge sich nicht überall glichen.
Daniel seufzte wieder
und schlurfte hinüber, um sich an die Schulter der Mutter zu lehnen. „Weiß
nicht, ob ich Hunger auf Ratten habe."
Nadine lächelte und
strich ihm das Haar aus der Stirn. „Wenn du eine fängst und sie nicht magst,
kannst du sie mir bringen."
Dies löste
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