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Huff, Tanya

Huff, Tanya

Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 05 - Blutschuld
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Klingeln reagierte. Bei Gelegenheiten wie dieser wünschte Henry oft,
Bram Stoker hätte recht gehabt mit seiner Behauptung, bestimmte Gesetze der
Physik gälten für seinesgleichen nicht. Wie praktisch wäre es jetzt, sich in
Nebel verwandeln zu können!
    Henry schenkte dem Paar, das sich gerade anschickte, seine
Wohnung zu verlassen und auf den Flur zu treten, erst dann Beachtung, als ihm
klar wurde, daß sie aus der Wohnung kamen, die direkt neben der Dr. Muis lag.
Beide waren schwarz gekleidet, lachten und schwätzten nervös, als sie nun einen
Augenblick lang in der halbgeöffneten Tür verharrten. Sicher hätte keiner von
ihnen sagen können, was sie so nervös machte -doch da war Henry auch schon in
die Wohnung geschlüpft, das Paar endgültig in den Flur getreten und die
Wohnungstür geschlossen worden.
    Henry stand hinter der Wohnungstür. Die Geschwindigkeit,
derer sich seinesgleichen bedienen konnte, um nicht gesehen zu werden, war
nicht dazu gedacht, größere Entfernungen zurückzulegen. Bald würde er trinken
müssen.
    Auch innerhalb der Wohnung gab es Videokameras, die sich
aber nur einschalteten, wenn jemand versuchte, die elektronisch gesicherten
Schlösser der Wohnungstür gewaltsam zu öffnen. Henry würde problemlos wieder
gehen können, was er aber so schnell gar nicht vorhatte, denn er war froh, das
Problem, im Flur herumstehen zu müssen, spontan, aber erfolgreich umgangen zu
haben.
    Abgesehen von all der Elektronik schien der Grundriß
dieser Wohnung identisch mit der Henrys im Gebäude nebenan, wenn auch
spiegelverkehrt. Henry ging leise den Flur hinunter und fragte sich, wo um
alles in der Welt die Eigentümer dieser Wohnung den riesigen, 1,50 m hohen
Wasserspeier gefunden hatten, der den Eingangsflur zierte.
    Neugierig besah er sich den Stapel Post, der etwas
unsicher auf dem Kopf des steinernen Wärters balancierte, und mußte
feststellen, daß Carol und Ron Pettit offenbar eine Reihe esoterischer
Interessen hatten. Belustigt legte er die Briefe auf ihren Hochsitz zurück und
murmelte: „Denen tut es bestimmt leid, daß sie mich verpaßt haben."
    Im Schlafzimmer des Ehepaars gab es rote Seidenbettwäsche
und eine wirklich ansehnliche Anzahl Kerzen, die jede frei verfügbare
Oberfläche zierten. Nach dem, was Henry der Post der Leute hatte entnehmen können,
erstaunte ihn das nicht mehr, ebensowenig die ordentlich auf zwei
Kleiderstangen aufgehängten Kleidungsstücke im begehbaren Kleiderschrank, durch
die er sich zwängen mußte, um zur dahinterliegenden Wand zu kommen: Wie viele
verschiedene Schattierungen von Schwarz es doch gab! Weit mehr, als Henry
bisher für möglich gehalten hatte.
    Er legte die Stirn an die Wand, die an Dr. Muis Wohnung
grenzte und konnte gleich nebenan ein Leben spüren.
    Ein schlafendes Leben.
    Als Henry seine Wohnung gekauft hatte, hatte er sich nicht
die Mühe gemacht, alle Konstruktionspläne und -angaben zu prüfen, die ihm zusammen
mit den anderen Bauunterlagen übergeben worden waren. So hätte er nicht sagen
können, woraus die Mauern in diesem Haus waren. Aber das spielte auch kaum eine
Rolle: Selbst wenn Henry in der Lage gewesen wäre, die Wand zu durchbrechen,
hätte er das nicht tun können, ohne sowohl die Ärztin als auch deren direkte
Nachbarn oben und unten zu wecken.
    Dann lächelte Henry. Zwar gehörte es nicht zu seinen
Gewohnheiten, kopfüber Schloßfassaden hinabzuklettern, aber von einem Balkon
zum nächsten würde er schon kommen, auch wenn die Frau Doktor auf ihrem Balkon
ein Solarium stehen hatte, das ein wenig hinderlich sein mochte. Es war
unwahrscheinlich, daß selbst die Balkone der Videoüberwachung unterlagen; dazu
legten zu viele Menschen in Vancouver Wert auf nahtlose Bräune.
    Als er sich abwandte, hörte Henry in der Wohnung der
Ärztin ein Telefon klingeln.
    Der Herzschlag der Schlafenden beschleunigte sich. Erneut
lehnte Henry die Stirn an die Rückwand des Schranks.
    Dr. Mui fand es furchtbar, mitten in der Nacht geweckt zu
werden. Der Schichtdienst in normalen Krankenhäusern war einer der Gründe gewesen,
warum sie die Arbeit dort aufgegeben hatte. Zugegebenermaßen einer der
unwichtigeren, aber trotzdem ein Grund. Aber alte Gewohnheiten lassen sich nur
schwer ablegen, und so war sie auf der Stelle hellwach. „Mui."
    „Ich habe Ihren Pfleger tot auf meinem Grundstück
gefunden. Das Gästehaus ist leer."
    Dr. Mui knipste die Nachttischlampe an und sah auf ihren
Wecker. Drei Uhr morgens.

„Haben Sie mich verstanden,

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