Huff, Tanya
ich könne nicht selbst für mich sorgen?"
„Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nicht",
gab Celluci sanft zu bedenken, womit er sich weigerte, in den Streit
einzusteigen.
Vicki sackte zusammen. Leider Gottes hatte er total,
absolut und unanfechtbar recht. Das ging ihr total gegen den Strich - nicht
einmal so sehr die Tatsache, daß der Freund recht behielt, nein: So blieb eben
nur gar kein Raum für einen zünftigen Streit.
Celluci wußte genau, was in Vicki vorging, und seine
Mundwinkel zuckten, als er das Buch in die Hosentasche zurückschob.
Vicki trat vor, strich ihm eine überlange schwarze
Haarsträhne aus der Stirn und murmelte: „Aber nachts stellt sich mir niemand in
den Weg."
Eingehüllt in warme Dunkelheit, die so dicht war, daß sie
sich über sie legte wie eine Decke aus schwarzem Samt, lag Vicki auf dem Bett,
das so sehr einem Sarg glich, vibrierte im Takt mit dem sechszylindrigen Motor
des Kleinbusses, der schon lange nicht mehr ganz der Beschreibung des
Herstellers entsprach, und konnte die Sonne spüren. Die Haut zwischen ihren
Schultern juckte. Zwei Jahre war sie nun Vampirin, und immer noch hatte sie
sich an das Näherkommen des Tages nicht gewöhnen können.
„Es fühlt sich an wie diese allerletzte Sekunde, ehe dir
jemand von hinten auf den Kopf schlägt: Du weißt, was gleich passiert und
kannst nichts, gar nichts dagegen machen. Nur dauert es länger ..."
Diese Beschreibung hatte Celluci nicht gerade beeindruckt,
und Vicki sah ein, daß sie ihm das kaum verdenken konnte - sie fand sie selbst
auch nicht wirklich beeindruckend. Als Celluci in der Nacht den Kleinbus unter
die hellste Lampe gefahren hatte, die er in einer Auffahrt fand, um ihn methodisch
nach winzigen Löchern abzusuchen, wäre Vicki am liebsten aus der Haut gefahren,
so sehr plagte sie das Bedürfnis, auf der Stelle ihre Zuflucht aufzusuchen.
Celluci hatte ihren Beteuerungen, sie habe bereits alles genauestens geprüft,
gar nicht zugehört. Aber Celluci war ja auch immer schon der Meinung gewesen,
sie, Vicki, ginge unnötige und verrückte Risiken ein.
Risiken: Ja, die ging sie ein.
Verrückte Risiken jedoch nie!
Oder jedenfalls fast nie.
Vicki stellte erstaunt fest, daß ihr Musikfetzen aus der
Operette HMS Pinafore durch den Kopf gingen und leckte sich die Lippen, die
immer noch nach der Erinnerung an Cellucis Mund schmeckten. Er hatte bis zum
Sonnenaufgang warten und dann erst losfahren wollen, aber Vicki hatte darauf
bestanden aufzubrechen, sobald sie sich in ihrem fahrbaren Unterschlupf
eingeriegelt hatte. Sie hatte genau gewußt, daß sie es nicht schaffen würde,
mit ihm zusammen auf...
... das große Vergessen zu warten.
Der Hauptverkehrsstrom bewegte sich in diesen frühen
Morgenstunden nach Toronto hinein, nicht heraus, und der Kleinbus mochte zwar
nicht viel hermachen, ließ sich aber erstaunlich gut fahren. Celluci wußte
ziemlich genau, daß er das, was hinten im Wagen lag und wie eine Leiche
aussah, niemandem würde erklären können, weshalb er vorsichtige fünf
Stundenkilometer über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fuhr, um nicht von
der Straßenwacht aufgegriffen zu werden. So mußte er sich damit abfinden, daß
fast alle anderen Autos, die mit ihnen zusammen auf der Autobahn unterwegs
waren, den Kleinbus überholten.
„Laß dich doch blitzen, am besten mit Foto!" murmelte
er finster, als ein ziemlich zerbeulter und verrosteter alter K-Car an ihm
vorbeizischte. Leider Gottes hatte die neue Regierung Ontarios die
Überwachungsfahrzeuge, aus denen heraus Schnellfahrer nicht nur geblitzt,
sondern auch ein Foto von ihnen geschossen wurde, jüngst aus dem Verkehr
gezogen. Angeblich hatte deren Einsatz keine positive Wirkung gezeigt. Celluci
hatte keine Ahnung, woher die Vollidioten am Queens Park ihre Informationen
bezogen; seiner Erfahrung nach hatte die Präsenz der Wagen zumindest die
Fahrer, die unter Verfolgungswahn litten, bewegt, tatsächlich langsamer zu
fahren.
In Barrie hielt er, um zu frühstücken und sich die Beine
zu vertreten. Kurz vor Waubaushene hielt ihn der Unfall eines Lastzugs eine
gute Stunde lang auf, und als er dann endlich am Centennial Diner in Bigwood
hielt, um Mittag zu machen, hatte er Sonny und Cher bereits dreimal auf drei
verschiedenen Kanälen, die sich alle auf alte Schlager spezialisiert hatten, „I
Got You Babe" singen hören und fragte sich allmählich grimmig, ob er sich
wirklich weiterhin durch diese Rock'n'Roll-Hölle jagen lassen wollte, nur
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