Huff, Tanya
hatte.
Leider beharrte sein Instinkt darauf, in ihr zwei
verschiedene Personen zu sehen.
Henry glitt auf den Fahrersitz des BMW und ließ den Kopf
einen Moment lang auf das Steuerrad sinken. Zwischen dem Geruch, der ihn jetzt
umgab und dem Duft, an den er sich erinnerte, bestand ein Unterschied, und
dieser Unterschied erinnerte ihn daran, wieviel er verloren hatte.
Henry mußte all seine in mehr als 450 Jahren mühsam
erworbene und gefestigte Kraft aufbringen, um wirklich abreisen zu können.
Sein Revier zu verlassen, das sich nun in den Händen eines
anderen Vampirs befand.
Vicki zu verlassen.
Tony zeigte Celluci und Vicki nur rasch die Wohnung und
nahm dann Rollschuhe und Helm aus dem Flurschrank. „Es wird spät, und ich muß,
na ja, ich muß los." Celluci zog fragend die Brauen hoch, und Tony erklärte
ein wenig betreten: „Ich ziehe so lange zu Freunden. Henry meinte, das sei
sicherer. Weil Vicki nicht daran gewöhnt ist, mit dem Geruch von Blut in der
Nase aufzuwachen."
„Aber ich bin doch auch hier."
„Na ja, ich glaube, Henry geht davon aus, daß Sie auf sich
selbst aufpassen können."
„Er hat das ja alles gründlich durchdacht, was?" Mike
schnaubte und sah dann Tony zu, der Vicki beobachtete, die am Fenster stand und
auf die Stadt hinausstarrte. An genau so einem Fenster hatte Henry immer gern
gestanden, damals in Toronto. An Tonys Miene konnte Celluci ablesen, daß Henry
auch hier in Vancouver am liebsten am Fenster verharrte. Vielleicht war das ja
bei allen Vampiren so; als Jäger stand man halt gern herum und sah sich das
Revier von oben an. Aber Celluci mochte es nicht, wenn Vicki ihn an Henry
erinnerte.
„Henry ist es gewohnt, seinen Willen zu bekommen."
Celluci brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß
Tonys ruhige Aussage die Antwort auf seine eigene, eher rhetorisch gemeinte
Frage war. Aber ehe ihm eine Erwiderung einfallen konnte, wandte sich Vicki vom
Fenster ab.
„Aber morgen bei Sonnenuntergang bist du hier,
nicht?" fragte sie, und das klang so, als sei ihr das wichtig.
Tony nickte verwundert, aber auch erfreut. „Wenn du mich
hier haben willst."
„Das letzte Mal - das einzige Mal -, als ich in Vancouver
war, habe ich der Stadt selbst keine große Beachtung geschenkt." Sie hatte
nichts und niemandem groß Beachtung geschenkt außer dem Hunger und der Notwendigkeit,
ihn beherrschen zu lernen. An Blut konnte sie sich erinnern, sonst an kaum
etwas. „Wenn wir diesen Geist zur Ruhe betten wollen, brauchen wir jemanden,
der sich auskennt."
„Auf dem Tisch liegen Stadtpläne und so", hob Tony
an, aber Vicki unterbrach ihn.
„Die Stadtpläne sagen einem nur, wo die Straßen sind,
nicht, was in den Straßen passiert." Vicki verschränkte die Arme und ließ
sich erneut gegen das Fensterglas sinken. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß
du nicht ganz genau weißt, was da draußen vor sich geht. Oder haben sie dir
zusammen mit dem Schulabschluß auch noch ein paar Ohrstöpsel und eine
Augenbinde verliehen? Auf der Straße warst du immer mein bester Satz Augen und
Ohren, Tony."
Tony wirkte immer noch erfreut, zuckte nun aber
entschuldigend die Achseln. „Ich bin nicht mehr auf der Straße."
„Aber du kriegst immer noch einiges mit, hörst viel und
hast ein Talent dafür mitzubekommen, wie einzelne Teile zusammengehören."
„Wofür habe ich ein Talent?"
„Muster zu erkennen - im Chaos."
„Wirklich?"
„Wirklich."
Mit roten Ohren bemühte sich Tony, das Kompliment beiseite
zu schieben und versuchte vergeblich, sich nicht anmerken zu lassen, wieviel
es ihm bedeutete. „Ordnung im Chaos? Du solltest mal Samstag nachmittag im
Laden sein, wenn die Videos von Freitag nacht zurückkommen! Ich muß wirklich
weg jetzt, aber ich bin morgen bei Sonnenuntergang wieder da. Auf dem Tisch bei
den Stadtplänen liegt eine Liste mit den dummen Fragen, die Henry dem Geist
schon gestellt hat. Die Telefonnummer der Wohnung, in der ich sein werde und
meine Nummer auf der Arbeit hängen am schwarzen Brett beim Telefon. Toll, dich
wiederzusehen!" Tony grinste, und in seinem Grinsen lag ein wenig von der
alten Unverschämtheit eines Straßenkinds. „Sie auch, Detective."
An der Tür blieb er kurz stehen, die Rollschuhe in der
einen Hand, den Helm in der anderen, über der Schulter den Rucksack. „Henry mag
es nicht, wenn ich zuviel zu essen hier bunkere, aber im Gefrierfach sind ein
paar Tiefkühlsachen, und unten auf dem Parkdeck ist ein kleiner Laden, wenn Sie
hungrig sind.
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