Huff, Tanya
Autoschlüssel
aus der Tasche und warf den Schlüsselbund von einer Hand in die andere.
In East Vancouver gab es eine offene ambulante Klinik, die
für einen nicht gerade als wohlhabend zu bezeichnenden Stadtteil zuständig zu
sein schien und in der, der Anzeige nach zu schließen, auch AIDS-Tests
durchgeführt wurden.
Das war doch zumindest schon einmal ein Anfang.
Celluci stieg in den Bus, schloß die Tür hinter sich und
stellte den Rückspiegel neu ein, während er versuchte, nicht an eine Ladung Wäsche
in einem Trockner zu denken und auch nicht daran, wie gut doch der dunkle Bezug
über den Bussitzen alle möglichen Flecken verdeckte.
Wenn er sich die Zeit genommen hätte, sich zuerst einmal
einen Plan zurechtzulegen, wäre Celluci sicher Taxi gefahren: Die Klinik, die
er aufsuchen wollte, lag in einem der ältesten Viertel der Stadt, an der Ecke
East Hastings und Main Street, eingeklemmt zwischen dem Nachbau eines der
historischen Häuser von Gastown und den geschäftigen Läden Chinatowns. Hier
waren die Straßen eng, der Autoverkehr ein völliges Chaos und jeder Parkplatz
wurde praktisch mit Gold aufgewogen.
Celluci erreichte die Ampel an der Kreuzung Pender
Street/Carall Street und starrte wütend auf das Einbahnstraßenschild, das ihm
die geplante Weiterfahrt verwehrte. Aus reiner Gewohnheit merkte er sich die
Kennzeichen der beiden Wagen vor ihm, die noch links abbogen, als die Ampel
bereits auf Gelb, dann auf Rot umsprang, lehnte sich dann zurück, trommelte mit
den Fingerspitzen ungeduldig auf dem Steuerrad herum und wartete auf eine Lücke
im schier endlosen Fußgängerstrom, die es ihm ermöglichen würde, nach rechts
abzubiegen. Beim Warten sah er den Menschen zu, die ins chinesische
Kulturzentrum gingen und hoffte sehr, es möge sich bei den drei mit Kameras
behängten Frauen mittleren Alters, die alles hier einschließlich der
zweisprachigen Straßenschilder lauthals als „wonnig" bezeichneten, um
amerikanische Touristinnen handeln.
Als die Ampel grün wurde, fuhr er auf die Kreuzung, wo er
sich sofort von weiteren Fußgängern gestoppt sah, die hier die Pender Street
überquerten. In der Mitte der Grünphase ergriff er die Chance, die ihm eine
Gruppe von Teenagern bot - sie waren beweglich genug, aus dem Weg zu springen
-, und es gelang ihm endlich, um die Ecke zu biegen. Nun behinderte ein LKW den
Verkehr, der nicht wirklich rechtmäßig in der zweiten Reihe stand und dennoch
die Autos zwang, sich an ihm vorbeizuschlängeln. Celluci atmete tief und
dankbar die warme Luft ein, die köstliche Düfte trug: frischer Fisch, Ingwer,
Knoblauch und Abgase, vertraut und tröstlich. Vicki hatte vor ihrer Wandlung am
Rande des Chinesenviertels Torontos gelebt, und die Düfte, die nun in Cellucis
Nase drangen und zwischen den Häusern gefangen, nur gelegentlich durch wirklich
starke Brisen vom Meer her aufgestört wurden, weckten Erinnerungen an ein
weitaus unkomplizierteres Leben.
Als der Detective dann endlich die Columbia Street
erreichte - nur einen Straßenzug entfernt -, hatte er genug Nostalgie getankt.
Wie durch ein Wunder tauchte direkt vor ihm eine freie Parklücke auf, und ein
wenig unbeholfen steuerte er den Bus hinein. Er kurbelte die Fenster hoch,
verriegelte die Türen, vergewisserte sich, daß der Mann, der gegen die
Grundmauern der Shing Li'ung-Handelsgesellschaft gelehnt auf der Straße
hockte, auch wirklich noch atmete und hatte trotzdem schneller die nächste
Straßenecke erreicht als das Auto, das hinter ihm gefahren war.
Nicht einmal einen Block weiter lag die East
Hastings-Klinik, aber diese kurze Entfernung reichte schon aus, um das
wohlhabende Chinesenviertel hinter sich zu lassen.
Die Fenster der Klinik, mit drahtverstärktem Glas
versehen, ließen mit ihrer Größe darauf schließen, daß sich in diesem Gebäude
einst ein Laden mit großer Schaufensterfläche befunden hatte. Celluci stand
auf dem Bürgersteig, spähte durch die Scheiben, und sein Blick fiel auf drei
ältere asiatische Männer, die auf orangefarbenen Plastikstühlen, wie man sie in
allen öffentlichen Einrichtungen finden kann, Platz genommen hatten und auf das
Profil eines Teenagers, der auf eine gestreßt wirkende Frau hinter einem
hüfthohen Tresen einredete. Die beiden schienen zu streiten. Celluci
beobachtete, wie die Frau auf einen unbesetzten Stuhl zeigte, dem Teenager
allem Anschein nach einen strengen Befehl erteilte und dann im hinteren Teil
des Gebäudes verschwand.
Immer noch mürrisch
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