Huff, Tanya
der sich noch im Wagen
befand, aber dieser Streit endete, ehe er noch recht in Schwung gekommen war,
denn nun kam Patricia Chou aus dem Kulturzentrum gestürmt.
Sekunden später waren alle wieder an der Arbeit; Kabel
wurden verlegt, Geräte ausgeladen. Dr. Seto wirkte angetan. „Was sie wohl
gesagt hat?"
„Sie kennen Ms. Chou?" Mike meinte, das aus dem
Tonfall der Ärztin herausgehört zu haben.
Die Ärztin nickte. „Sie hat vor zwei, vielleicht drei
Monaten eine Reportage über meine Klinik gemacht. Im großen und ganzen auch
eine wohlwollende Reportage. Trotzdem kam ich mir hinterher ein wenig so vor,
als sei ich ohne Narkose operiert worden." Als sie weitergingen, klang Dr.
Seto nachdenklich. „Aber daß Sie sie auch kennen, das erstaunt
mich. Hatten Sie nicht gesagt, Sie seien erst seit ein
paar Tagen in Vancouver?"
„Eigentlich kann ich nicht behaupten, Ms. Chou zu kennen.
Ich habe ihr Interview mit Ronald Swanson gesehen ..."
„Mit Ronald Swanson, dem Makler?"
Schlagartig fiel Celluci wieder ein, warum er überhaupt
zur Klinik gekommen und Dr. Seto zum Mittagessen eingeladen hatte. „Ja. Kennen
Sie den auch?"
„Befreundet sind wir nicht, falls Sie das meinen, aber wir
sind einander vorgestellt worden. Seine Firma stiftete die Computer, mit denen
wir in der Klinik arbeiten. In dieser Stadt gibt es ein gutes Dutzend gemeinnütziger
Organisationen, die von seiner Großzügigkeit abhängen, und dann natürlich die Transplant
Society: Für die ist er unermüdlich tätig."
„Das konnte ich dem Interview auch entnehmen." Ehe
Dr. Seto das Thema wechseln konnte, fügte Celluci hinzu: „Irgendwie ist das
doch eine tolle Sache: Da entfernt man bei einem Menschen einfach ein Organ und
setzt es einem anderen Menschen ein, und schon hat man ein Leben
gerettet."
„So einfach ist das leider nicht." Dr. Seto drückte
auf den Knopf der Ampelschaltung, und sie warteten darauf, daß es grün würde.
Aber auch in der Grünphase mußten sich die beiden noch ein wenig gedulden, ehe
sie die Straße überqueren konnten: Ein orangefarbener VW-Bus, Baujahr Mitte der
siebziger Jahre, hatte sich entschieden, noch bei Gelb rasch eben mal um die
Ecke zu schießen.
„Haben Sie es denn schon einmal getan?" bohrte
Celluci hartnäckig nach und trat auf die Fahrbahn.
„Detective, die Frage könnten Sie sich eigentlich auch
selbst beantworten. Würde ich in einer offenen Ambulanz arbeiten, wenn ich
Transplantationsärztin wäre?"
„Nein, wohl kaum."
„Ganz sicher nicht, und darauf können Sie Gift
nehmen."
„Ich habe mir sagen lassen, Nierentransplantationen seien
noch nicht einmal so schwierig."
„Was die Transplantation selbst angeht, stimmt das sogar.
Aber danach bergen sie dieselben Risiken wie jede andere Transplantation auch:
Die Organe können vom Körper abgestoßen werden, Infektionen können eintreten,
und Infektionen sind tödlich." Sie wandte sich halb um und sah ihn durch
einen Vorhang aus dichtem Seidenhaar an. „Wissen Sie, was für die Medizin des
19. Jahrhunderts die größte Errungenschaft war?"
„Daß es gelang, die Ärzteschaft vom Händewaschen zu
überzeugen." Dr. Seto lächelte, und Mike konnte nicht anders, er richtete
sich stolz ein wenig auf. „Sehen Sie! So dumm, wie ich aussehe, bin ich gar
nicht!"
Vicki würde so ein Stichwort begeistert aufgegriffen
haben. Dr. Seto jedoch schien besorgt und peinlich berührt: Was, wenn er
wirklich dachte, sie hielte ihn für dumm? So blieb Celluci nichts anderes
übrig, als sich für seinen dummen Spruch zu entschuldigen und den Rest des
Weges über noch mehr Charme aufzufahren, als es ohnehin seine Art war.
In der Klinik ließ sich die Ärztin rasch dazu überreden,
eine kleine Führung zu veranstalten. „Aber nur eine ganz kleine!"
Dieselben drei Greise wie vor dem Essen - zumindest war Celluci der Meinung, es
seien dieselben - hockten auf ihren Stühlen und beobachteten jede einzelne
Bewegung der Ärztin und ihres Begleiters.
Nieren wurden hier keine verpflanzt - es sei denn, dies
geschähe in einem unterirdischen Geheimsaal. Viele Patienten der Klinik
gehörten jedoch eindeutig zu der Gruppe von Menschen, die niemand wirklich vermißt,
wenn sie verschwinden, und die von daher verschwinden können, ohne daß jemand
großartig Fragen stellt. Genau so waren einige von ihnen offenbar auch bereits
verschwunden.
„Sie kommen einfach nicht wieder", seufzte Dr. Seto
und schlüpfte in ihren weißen Kittel. „Manchmal ist das ganz
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