Huff, Tanya
dreinblickend starrte der Junge ihr
nach, schob dann einen Karton mit Infobroschüren der Gesundheitsbehörde
beiseite, langte über den Tresen, schnappte sich von dort ein kleines Päckchen
und rannte damit zur Tür. Celluci hatte ihn erwischt, ehe der Junge noch recht
über die Schwelle gelangt war.
,,Verpiß dich, Macker! Laß mich los!"
„Das habe ich ganz und gar nicht vor!" Mike steuerte
seinen sich wehrenden Gefangenen zurück in die Klinik, wobei er darauf bedacht
war, sich stets zwischen dem Teenager und der Tür zu plazieren.
„Das ist doch glatt ein Überfall, du Idiot! Laß mich los,
sonst rufe ich die Bullen."
„Möchtest du meinen Ausweis sehen?" fragte Celluci
ruhig und lockerte seinen Griff um den klapperdürren Arm ein wenig.
Der Junge entwand sich ihm, wirbelte herum, stand nun mit
dem Rücken zum Tresen und starrte zu Celluci auf. „Ach du liebe Scheiße!"
murmelte er dann ergeben, als er erkennen mußte, daß die Frage des großen
Mannes nicht rhetorisch gemeint gewesen war.
„Was ist hier draußen eigentlich los?"
Celluci öffnete den Mund, um zu antworten und ließ ihn
dann offen stehen. Er blickte auf die schönste Frau hinab, die er in seinem
Leben je gesehen hatte.
„Sie verschwenden hier nur Ihre Zeit, Mister!" Mit
einem breiten Grinsen streckte der Junge Mike die Hand hin. Dort balancierte
auf der flachen Handfläche eine rechteckige kleine Schachtel mit Kondomen.
„Ich wollte doch bloß nicht den Vortrag über Safer Sex abwarten, Doc! Auf dem
Weg raus hat mich der Typ hier dann einfach festgenagelt."
Die Ärztin heftete onyxschwarze Augen auf Cellucis
Gesicht. „Wer sind Sie?" fragte sie streng.
„Celluci." Der Detective räusperte sich, schüttelte
den Kopf, und dann gelang es ihm endlich, seinen Verstand wieder zum Arbeiten
zu bewegen. „Detective Sergeant Mike Celluci, Metropolitan Toronto
Police."
Der Teenager starrte ihn ungläubig an. „Toronto? Mann, nun
übertreiben Sie bloß nicht so maßlos."
„Befinden Sie sich nicht vielleicht ein wenig außerhalb
ihres Reviers, Detective?" Blauschwarze Lichter tanzten in einem seidenen
Vorhang aus ebenholzschwarzem Haar, als ein zarter Kopf sich zur Seite neigte.
Cellucis Erklärung, wie es dazu gekommen war, daß er den
Jungen hatte hinter den Tresen langen sehen, ließ die Tatsache unerwähnt, daß
die Klinik das eigentliche Ziel seines Besuchs in dieser Gegend war. Als er
fertig war, richtete die Ärztin einen strengen Blick auf den Teenager. „Wer
diese Klinik bestiehlt, bestiehlt seine Freunde."
„He! Sie hätten mir die Dinger doch sowieso gegeben!"
„Nicht alle auf einmal." Sie öffnete die Schachtel,
entnahm ihr sechs kleine Plastikvierecke und gab sie dem Jungen. „Setz dich
hin. Die Regel lautet, daß du die hier nur zusammen mit einem Vortrag kriegst,
und den hörst du dir an, ehe du abhaust."
Murrend schob der Junge die Hände in die Taschen seiner
übergroßen Jeans und setzte sich.
Die Ärztin stellte die Schachtel zurück hinter den Tresen
und blickte wieder zu Celluci. Ihre Wimpern malten kleine gefiederte Schatten
auf ihre Wangenknochen, die fein geschwungen waren wie zartes Porzellan. „Sie
haben mir einen Gefallen getan, Detective. Kann ich etwas für Sie tun?"
„Essen Sie mit mir zu Mittag?" Seine Augen weiteten
sich ungläubig, als er feststellen mußte, daß es seine Stimme gewesen war, die
diese Einladung ausgesprochen hatte. Die Ärztin war gute 40 Zentimeter kleiner
als er, und er hatte kleine Frauen immer als leicht bedrohlich empfunden. Seine
Großmutter war knapp 1,60 m groß. Mittagessen? Was habe ich mir bloß dabei
gedacht?
Einer der drei Greise murmelte etwas auf Chinesisch. Die
beiden anderen kicherten.
Die perfekte Kinnlinie der Ärztin hob sich in einem
aufmüpfigen Winkel. „Warum nicht?"
Der Jade Garden Palace war ein Dim Sum-Restaurant, das die
Touristen noch nicht für sich entdeckt hatten. Wer per Zufall in die etwas heruntergekommene
Wohnstraße geriet, in der das Restaurant sich befand, und nicht durch die
grünen Isolierklinker der Außenverkleidung abgeschreckt wurde, dem genügte in
der Regel ein Blick auf den gekachelten Fußboden, dem gleich im Eingangsbereich
eine Kachel fehlte und auf die zerkratzten Plastiktische, um doch lieber nach
einem etwas weniger farbenfrohen Speiselokal Ausschau zu halten. Die Ärztin
und der Detective waren zu einer Zeit gekommen, wo eigentlich der Höhepunkt der
mittäglichen Rushhour hätte toben sollen, aber außer ihnen waren
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