Huff, Tanya
so, daß es nur für die Ohren ihres Vorgesetzten bestimmt war. Der Blick, mit dem dieser sich zu ihr umwandte - halb Erschöp fung, halb Entsetzen -, ließ sie die Worte augenblicklich bereuen. „Können wir jetzt heimgehen?" fragte sie in absichtlich leichtem
Ton. „Oder wollten Sie auch heute abend mal eben
rasch noch zwei Jahre Forschung hinter sich bringen?"
Ja, das wollte er. Er sah seine Hand über dem Stoffstreifen mit Hieroglyphen schweben. Hastig zog er sie zurück.
„Schluß für heute", sagte er, richtete sich auf und zwang sich,
sei ner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie schwer ihm diese Worte
fielen. „Montag geht es weiter." Dann wandte er sich abrupt ab und verließ
eiligen Schrittes den Werkraum, ehe er seine Meinung hätte ändern können.
Wäre es ihm
möglich gewesen, er hätte laut gelacht. Unmöglich, die Freude und Aufregung zu
unterdrücken! Sein Körper zwar lag noch gebunden, doch sein Ka war frei, seit
sich das Gefängnis ge öffnet hatte.
Frei... befreit... nähren.
zwei
„Ich bin Ozymandias, König der Könige. Seht, was ich geschaffen habe, ihr Mächtigen, und lasset alle Hoffnung fahren!"
Detective-Sergeant Michael Celluci sah seine Begleiterin erstaunt von der Seite
an. „Was murmelst du da vor dich hin?"
„Murmeln? Ich murmle nicht, ich käue Gedanken wieder. Über Monumente, die der Mensch zu Ehren des Menschen errichtet." Vicki Nelson rückte ihre Brille zurecht, beugte sich mit durchge drückten Knien nach vorne und berührte mit ihren Handflächen den Beton zu ihren Füßen.
Angesichts
dieser himmelschreienden Zurschaustellung von Fit ness konnte Celluci nur schnauben. Er sollte an seine eigenen Grenzen
erinnert werden. Er warf den Kopf zurück und sah am Fernseh turm empor. Von der Position am Fuße des Turms
aus, die Vicki und er einnahmen, wirkte das Gebäude gedrungen und endlos
zugleich. Die Radioantenne an der Spitze,
die es sonst länger wirken ließ, lag hinter der Aussichtsplattform mit
Restaurant verborgen. „Kühe käuen wieder", brummte Mike.
Vicki zuckte
die Achseln, was allerdings bei der Haltung, die sie gerade einnahm, kaum auffiel. Sie richtete sich wieder auf und grin ste breit. „Jedenfalls nennt man diesen Turm nicht
umsonst das größte freistehende Phallussymbol der Welt."
„Träum' ruhig weiter!" Celluci seufzte, als Vicki jetzt ihren
linken Knöchel packte und das linke Bein in einem
45-Grad-Winkel und höher hob. „Hör auf, so anzugeben! Bist du bereit, können wir mit
dem Klettern beginnen?"
„Ich warte ja
nur darauf, daß du mit Warmlaufen fertig bist."
Celluci lächelte: „Gut. Gleich siehst du mich nur noch von hinten!"
Ein ganze Reihe von Wohlfahrtsorganisationen bedienten sich der eintausendsiebenhundertundneunzig
Stufen des Fernsehturms zum Spendensammeln
und veranstalteten Wettläufe, bei denen sich die Teilnehmer von Freunden oder Geschäftspartnern für jede bewäl tigte
Stufe bezahlen ließen. Der Lauf an diesem Tag wurde von der Gesellschaft zur Prävention von Herz- und
Kreislauferkrankungen veranstaltet, und als Vicki und Celluci nun zur Anmeldung
traten, schrieb man nicht nur ihre
Startzeit auf, sondern prüfte auch ihren Pulsschlag.
„Sie haben so gut wie freie Bahn", sagte der freiwillige Helfer,
der Vickis Pulsfrequenz auf einem Blatt Papier notiert hatte. „Sie
sind Nummer sechs und sieben heute, und die
anderen waren ernsthafte Läufer."
„Sind wir das Ihrer Meinung nach nicht?" Kampflustig starrte Mike den
jungen Mann an. Seit seinem letzten Geburtstag befand er sich im Endspurt auf die Vierzig und war in
Alters- und Fitnessfragen ein wenig
empfindlich geworden.
„Na ja ..." Der weitaus jüngere Mann schluckte nervös. Kaum jemand beherrscht die Kunst des kampflustigen Starrens wie ein Polizist.
„Sie tragen eben beide gewöhnliche Trainingsanzüge und normale Turnschuhe. Die
Läufer eins bis fünf hatten sich aerodynamisch voll hochgerüstet."
Vicki kicherte, denn sie wußte nur zu genau, was ihren Begleiter zu der Nachfrage angespornt hatte. Celluci starrte auch sie an, mußte dann aber
einsehen, daß er selbst mit seinem Verhalten zu dummen Kommentaren Anlaß gegeben
hatte. Er schwieg daher und ließ sich ebenso wie Vicki per Stempel seine
Startzeit bestätigen. Dann rannten die beiden los.
Der freiwillige Helfer hatte mit seiner Bemerkung recht und un recht
zugleich gehabt; weder Vicki noch Celluci lag etwas an einem Wettstreit mit
anderen Läufern, jeder von ihnen wäre für sich allein den
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