Human
ausdrückte, bedeutete es noch lange nicht, dass es verschwunden war, das war ihr durchaus bewusst. Oder sein ausschweifender Abend hatte ihn so sehr angestrengt, dass er keine Annäherungsversuche mehr hatte machen können.
Am nächsten Morgen würde er entweder tot oder ausgeruht sein, sagte sie sich. Und erst dann konnte sie wirklich entscheiden, wie es weitergehen sollte. Sie drehte sich auf den Rücken, konnte nicht einschlafen und hasste sich dafür. Sie hasste sich, weil sie wusste, dass er recht hatte.
Sie hätte zu gern ganz genau gewusst, was er an diesem Abend erlebt hatte, und anstatt dass über seine spottenden, aber jetzt schweigenden Lippen eine Beschreibung gekommen war, arbeitete ihre Fantasie nun auf vollen Touren und füllte ungebeten die unzüchtigen, schweißtreibenden leeren Bilder aus. Als Konsequenz daraus (und vielleicht auch als Bestrafung dafür) warf sie sich die nächsten Stunden im Bett herum und konnte dem Schwall der lüsternen Bilder nicht Einhalt gebieten, der vor ihrem inneren Auge ablief, konnte nicht einschlafen, bis sie die mentale ebenso wie die körperliche Erschöpfung schließlich doch noch ins Land der Träume gleiten ließ.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch nicht die Geilheit oder die Tatsache, dass ihr durch und durch zügelloser Gefährte daran beteiligt war, sondern die Erkenntnis, dass Whispr in mehr als nur einem dieser lasterhaften und wollüstigen Szenarios gar nicht die Hauptfigur war.
Sondern sie selbst.
***
Natural und Meld, Mann und Frau, Ärztin und Verbrecher, beide waren am nächsten Morgen ungewöhnlich wortkarg.
Vermasselt , dachte Whispr, während er seine wenigen Sachen für die bevorstehende Reise packte. Du warst geil und hast es vermasselt. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Die Antwort auf diese Frage war einfach: Er hatte überhaupt nicht gedacht. Normalerweise hatte er kein Problem damit, seine Bedürfnisse unter Kontrolle zu halten. Das war leicht für jemanden wie ihn, der nicht gerade anziehend auf Frauen wirkte, seien sie Meld oder Natural. Es war die ständige Nähe zu Seastrom, sagte er sich. Sie trieb ihn in den Wahnsinn. DieArt, wie sie sich bewegte, wie sie roch, wie sie aussah, selbst ihre ihn ständig bevormundende Art – das alles zusammen ergab eine erotische Spannung, die er genauso wenig ignorieren konnte wie die gelegentlichen Hungeranfälle, die sein aufgrund des Melds eingeschrumpfter Magen verspürte.
Das Schlimmste war, dass sie von alldem nichts zu bemerken schien. Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie in irgendeiner Weise von dem Effekt wusste, den sie auf ihn hatte. Außerdem wurde seine Sehnsucht offenbar nicht erwidert. Die einzige Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, hatte mit seiner Fähigkeit zu tun, die weniger zerebralen Schwierigkeiten zu meistern, die ihr Weiterkommen zu verhindern drohten.
Natürlich konnte er ihr nicht sagen, was er für sie empfand. Er konnte ihr nicht gestehen, wie anziehend er sie fand, um einen Krumen ihrer Aufmerksamkeit betteln, sie anflehen, ihn als etwas anderes als ein zweibeiniges Utensil anzusehen. Aber er hatte das bereits einmal versucht, in Savannah, und zwar auf sehr tollpatschige Weise. Er bezweifelte nicht, dass sie ihn bei einem zweiten verpfuschten Versuch wie ein lausiges Stück Straßendreck, das er ja auch war, fallen lassen würde, ungeachtet der Vorteile, die sie von seiner Anwesenheit hatte. Wie um seine schlimmsten Befürchtungen und seine Frustration zu bestätigen, ignorierte sie ihn an diesem Morgen noch mehr als sonst.
Er weiß es. Während sie ihre Reiseausrüstung zusammensuchte, warf Ingrid ihrem schweigenden, schlanken Begleiter hin und wieder einen verstohlenen Blick zu. Whispr sagte nichts, weil er es vermutet, sagte sie sich. Er kannte sich in den niederen Gefilden der Gesellschaft zu gut aus und war zu geübt darin, Gesichtsausdrücke und Emotionen zu erkennen, um nicht zu wissen, was sie in der letzten Nacht durchgemacht hatte.
Selbstverständlich hatte sie nichts davon erwähnt. Wollte er durch sein andauerndes Schweigen etwa zeigen, dass er ihre Privatsphäre respektierte? Sie merkte, dass sie jeden ihrer Schritte, den sie machte, und jede ihrer Gesten auf eine versteckte Bedeutung hin analysierte. Das bringt doch nichts , sagte sie sich. Du schreibst ihm eine größere Beobachtungsgabe zu, als er eigentlich besitzt. Er weiß überhaupt nichts. Wie könnte er auch? Vielleicht war er gut darin, andere einzuschätzen, aber er
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