Human

Fahrbahnen ab. Hätte es eines der angehaltenen Fahrzeuge versucht, hätten ihre Passagiere auf der Stelle eine Strafe zahlen müssen.
    Der Grund für diese Unterbrechung manifestierte sich in Form von zwei Polizeifahrzeugen, die mit lauter Sirene hinter den Reisenden auftauchten. Sie ignorierten die in die Straße eingelassenen Leitstreifen und nutzten die Antikollisionshardware ihrer Wagen, um sich so einen relativ konsistenten Weg durch den stehenden Verkehr zu bahnen. Schweber hätten natürlich jenseits der Straße und über dem Boden fliegen können, waren allerdings deutlich langsamer als die Fahrzeuge der Gesetzeshüter.
    Sobald die Polizisten an ihnen vorbeigerast waren, wurdendie Leitstreifen wieder aktiviert und der Verkehr bewegte sich weiter.
    Ingrid hatte ihr Lesegerät ausgeschaltet und wieder in ihren Rucksack gesteckt. »Warum die wohl so schnell unterwegs waren?«
    »Keine Ahnung.« Whispr zwang seine Muskeln, sich zu strecken. Polizeisirenen jeglicher Art machten ihn nervös. Wären die beiden Wagen langsamer geworden und hinter ihnen eingeschert, dann hätte er sich darauf vorbereitet, den Kontakt mit der Straße zu unterbrechen und sein Heil in der Flucht zu suchen. Auch wenn er seine Sorge nicht mit seiner wunderbar sorglosen Begleiterin geteilt hatte, war er nicht bereit, sich von der hiesigen Polizei verhören zu lassen. Das letzte Mal, als er von der Polizei verhört werden sollte, hatte er mitten in der Nacht durch einen Sumpf fliehen müssen und später erfahren, dass diese seinen Partner ermordet hatte. So etwas wollte er nie wieder durchmachen. Und er wollte erst recht nicht, dass Ingrid Seastrom etwas Derartiges erleben musste.
    Ihm war klar, dass sie ihm in dieser Beziehung vermutlich nicht zugestimmt hätte. Wahrscheinlich hätte sie die Polizei sogar begrüßt und wäre nicht im Entferntesten auf den Gedanken gekommen, dass einer der Polizisten mit dem Attentäter Molé zusammenarbeiten könnte. Doch in einer Hinsicht hatte sie recht gehabt: Wären er und seine lebenslange Erfahrung auf der Straße nicht gewesen, dann wäre sie jetzt vermutlich bereits tot. Das Bild, das bei dieser Erkenntnis vor seinem inneren Auge entstand, gefiel ihm gar nicht, und er beeilte sich damit, es rasch zu verdrängen.
    Mit einer Bevölkerung von mehr als einhunderttausend Menschen war Worcester die größte Stadt im Breede River Valley. Wilde, schwer zu überwindende Berge erhoben sichan jeder Seite des Tals, das von dem über zweitausend Meter hohen Keeromsberg im Nordosten dominiert wurde. Hier wollten sie den stetigen Verkehr der N1 verlassen und erst in Richtung Südosten und dann nach Osten auf die Little Karoo zufahren. Ingrid wusste, dass es keine weiteren bequemen automatischen Straßen mehr geben würden. Whispr und sie mussten ab jetzt selber fahren. Das war auch einer der Gründe, warum sie diese Strecke ausgesucht hatten. Falls es jemandem gelungen war, ihnen bis hierhin zu folgen, dann würde er sich jetzt fragen, wo zum Teufel seine Beute abgeblieben war und warum.
    Die Straße schien die Landschaft in zwei Hälften zu teilen: Auf der einen Seite war sie grün, auf der anderen befand sich nichts als nackter Fels und mit Büschen bedeckte Berge. Whispr konnte auf der alten, sich windenden Asphaltstraße besser und entspannter fahren als auf dem breiten Highway mit dem glatten Straßenbelag. Hier draußen gibt es keine jaulenden Polizeiwagen, sagte er sich. Wenn sie verfolgt wurden, sei es von der Regierung oder Privatleuten, dann wären ihre Verfolger inzwischen aufgetaucht. Allmählich war er überzeugt davon, dass sie ihre Spuren wirklich verwischt hatten. Möglicherweise bereits schon, als sie in Miami im Flugzeug saßen. Der Scanner des Roadsters konnte im Umkreis von einer halben Meile hinter ihnen nichts entdecken.
    Vielleicht konnte er sich jetzt ein bisschen entspannen und die Reise genießen, sagte er sich. Zumindest den Teil, bevor sie versuchten, sich in eine der geheimsten Forschungsanlagen des SAHV zu schleichen, wo man sie vermutlich verhaften oder gleich umbringen würde.
    Sie erreichten eine weitere Kleinstadt, in der sie in Richtung Sanbona abbogen. Viele Kilometer später mussten sie sich zusammenreißen, um nicht die Fassung zu verlieren,als der Scanner am Terminal des Parktors ewig zu brauchen schien, um ihre manipulierten Ausweise zu untersuchen. Ein sieben Meter hoher doppelter, unter Strom stehender Zaun erstreckte sich nach Osten und Westen, so weit sie sehen konnten.